Shotgun Lovesongs
zu schwingen oder sich niederzuknien, um den Mörtel glattzustreichen oder was sonst auch immer anfiel. Wir gaben Schätzungen ab, wie viel Geld er in das Gebäude gesteckt hatte: Hunderttausende, zweifellos; vielleicht sogar Millionen.
Im Postamt oder im IGA-Supermarkt redete er ganz aufgeregt über seine Pläne. »So viel Platz«, sagte er dann. »Überlegt euch nur mal, wie viel Platz es da gibt. Wir könnten alles Mögliche damit anfangen. Büros. Leichtindustrie. Restaurants, Pubs, Cafés. Ich möchte auf jeden Fall ein Kaffeehaus. So viel weiß ich schon mal.« Wir bemühten uns, so gut es ging mit ihm mitzuträumen. In unserer Kindheit war die Mühle eine kurze Zeit ein Ort für uns gewesen, an dem unsere Mütter Overalls, dicke Socken und Gummischuhe für uns kauften. Ein Ort, an dem es nach Hundefutter und Maisstaub und neuem Leder und schlechtemAtem und dem billigen Aftershave alter Männer roch. Aber diese Erinnerungen lagen weit zurück.
»Meinst du, die Leute werden in der alten Mühle essen wollen?«, fragten wir ihn.
»Brecht mal aus euren Konventionen aus, Leute«, säuselte er. »Das ist genau die Haltung, die diese Stadt vor die Hunde gebracht hat. Denkt mal in anderen Dimensionen!«
Neben der neuen elektronischen Kasse stand noch die alte Ladenkasse. Auch die hatte Kip gerettet. Er stand mit Vorliebe dort, gegen das alte Gerät gelehnt, und stützte sich mit den Ellbogen auf dessen glänzender Oberfläche ab, während einer seiner Angestellten die neue Kasse bediente. In der Nähe der Kassen hatte er vier Flachbildschirme an die Wand montiert. So konnte er die fernen Börsengeschäfte, die Wetterberichte und politischen Vorgänge in Echtzeit verfolgen, während er sich aus den Mundwinkeln mit seinen Kunden unterhielt, die Augen dabei immer fest auf die Nachrichten gerichtet. Manchmal schaute er nicht einmal in ihre Gesichter. Aber er hatte dafür gesorgt, dass die Mühle wiederauferstand. Alte Männer kamen, parkten ihre rostigen Pick-ups auf der Kiesfläche des Parkplatzes und tranken dünnen Kaffee. Sie lehnten sich gegen ihre Fahrzeuge, deren Motoren immer noch warm waren und mit leisem Knacken abkühlten, unterhielten sich und spuckten braunen Tabaksaft in den Staub und auf die Schottersteine. Sie mochten die neue Geschäftigkeit, die um die Mühle herum entstanden war. Die Lieferwagen, Handelsvertreter, Bauarbeiterteams. Sie mochten es, sich mit uns jungen Farmern zu unterhalten; mit mir und den Giroux-Zwillingen. Wir kamen oft, um uns über Kip lustig zu machen, wie er auf diese brandneuen Plasmabildschirme starrte und sein Bestes gab, um uns zu ignorieren.
Lee hatte sogar einen Song über die alte Mühle geschrieben – vor ihrer Wiederbelebung. Es war diese Version der Mühle, die uns in Erinnerung blieb, diese Version, die uns real erschien.
...
Unser Freund Ronny Taylor war Alkoholiker gewesen. Das Trinken hatte einen üblen Umweg aus seinem Leben gemacht. Einmal war er betrunken auf den Bürgersteig gestürzt, auf der Hauptstraße, draußen vor dem VFW-Posten 66. Er war heftig auf den Kopf gefallen und hatte sich ein paar Zähne ausgeschlagen. In dieser Nacht war er sehr laut und streitlustig gewesen, hatte sich an die Freundinnen und Ehefrauen anderer Männer herangemacht, seine Drinks verschüttet und war zweimal dabei beobachtet worden, wie er in die Gasse hinter der Bar pinkelte, seinen Schwanz fröhlich im Wind baumeln ließ und »Raindrops Keep Fallin’ On My Head« vor sich hin pfiff. Sheriff Bartman hatte keine andere Wahl gehabt, als ihn wegen öffentlicher Trunkenheit festzunehmen, auch wenn er eigentlich gar nichts gegen Ronny hatte und nur erreichen wollte, dass sich der junge Mann an einem sicheren Ort ausnüchterte, statt sich hinters Steuer seines Pick-up-Trucks zu klemmen, um dann später am Abend mit siebzig Meilen pro Stunde gegen irgendeine Eiche zu donnern. Aber der Schaden war natürlich schon angerichtet. Während der Zeit, die Ronny wegen öffentlicher Trunkenheit im Gefängnis lag – die ganze Nacht und auch noch den nächsten Morgen –, blutete es in seinem Gehirn. Als der Sheriff ihn endlich in das Krankenhaus von Eau Claire brachte, wo man ihn einer Notoperation unterzog, war es schon zuspät. Niemand sprach es je laut aus, aber wir fragten uns, ob nicht der ganze Alkohol sein Blut verdünnt und die Blutung dadurch verschlimmert hatte. Danach war Ronny nicht mehr derselbe, nur noch eine verlangsamte Version seiner selbst. Er war vielleicht
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