Sibirische Erziehung
Pistolenkugel vorbeigeschossen.
»Verdammt!«, brüllte ich und schaffte es gerade noch, die Lampe loszulassen, als Mel sie mit aller Kraft traf. Die Lampe zerbrach, das Licht ging aus. Im Dunkeln hörte ich Mel seufzen:
»Mist, so ein blöder Fisch, ich dachte, er wäre schneller ...«
Er stand immer noch über mir, mit dem Hammer in der Hand. Ich stand auf, nahm ein Ruder und schlug ihm damit wortlos auf den Rücken.
»Was soll das?«, fragte er und wich eingeschüchtert zum Heck des Bootes zurück.
»Verdammt noch mal, Mel, du bist zu blöd! Wieso schlägst du auf die Lampe ein?«
Vom Ufer hörte ich Gagarin, Dschigit und Teufel rufen.
»Was ist los? Seid ihr verrückt geworden?«, fragte Gagarin.
»Was soll schon los sein, der Fisch ist zu groß, sie kriegen ihn nicht ins Boot«, bemerkte Dschigit ironisch, obwohl er genau wusste, dass dieser Idiot von Mel mal wieder alles versaut hatte.
»He, Kolima!«, brüllte Teufel. »Du kannst ihn ruhig abmurksen, von uns hat keiner was gesehen, wir erzählen dann, er wär ertrunken.«
Ich war sauer, aber irgendwie musste ich auch lachen.
»Mach den Motor an, wir fahren an Land«, knurrte ich Mel an.
»Wollen wir nicht noch eine Runde machen?«, fragte er unterwürfig.
Ich sah ihn an: Im Dunkeln sah er aus wie ein Dämon. Da sagte ich grinsend:
»Ach so, noch eine Runde? Und mit welcher Lampe, bitte schön?«
Am Ufer kringelten sie sich.
Als wir an Land kamen, guckte Teufel, der einen ganz eigenen Humor hatte, in unser Boot und verkündete den anderen:
»Genau wie ich es mir gedacht habe, Leute! Die beiden haben den Fisch ganz allein verputzt! Und um nur ja nicht mit uns teilen zu müssen, haben sie ihn sogar roh gegessen!«
Und alle lachten sich kaputt. Sogar Mel fiel mit ein, nur ich war ein bisschen traurig, denn ich spürte, dass sich etwas Neues in meinem Leben anbahnte, Veränderungen standen bevor.
Es wurde ein schönes Fest. Die großen Welse, die die anderen gefangen hatten, wurden geschuppt, ausgenommen und zum Garen in einem Lehmbett vorbereitet. Auf mich aber wirkten alle irgendwie merkwürdig, so als wüssten sie, dass wir eine besondere Phase durchlebten, die uns für immer verändern würde. Es wurde viel über früher geredet, jeder erzählte Geschichten aus seiner Kindheit, und die anderen lachten oder schwiegen, um die besondere Atmosphäre nicht zu zerstören, die durch die Geschichte entstand.
Wir saßen die ganze Nacht am Feuer, bis zum Morgengrauen, sahen zu, wie sich Funken und zu staubender Asche zerfallene Glut in die Luft erhoben und mit den Schleiern des heraufziehenden Morgens vermischten, der einen neuen Tag bringen würde.
Auch ich lachte und erzählte ein paar Geschichten, spürte aber zugleich, wie ein ganz neues, wehmütiges Gefühl von mir Besitz ergriff. Ich kam mir vor wie einer, der den ersten Schritt in eine große Leere tut und sich nun beim Abschied noch einmal umdreht, um das Schönste und Wichtigste der zu Ende gehenden Phase in Erinnerung zu behalten.
Nachdem ich bis zum Morgengrauen gegessen, getrunken und geredet hatte, ging ich zum Schlafen in den Wald. Ich nahm eine Decke aus meinem Boot, hängte sie mir um und ging auf die Büsche zu, wo es angenehm kühl war. Auch meine Freunde verteilten sich, einige blieben am fast erloschenen Feuer, Mel hatte es sich mitten auf dem Weg zu dem See, wo unser Boot lag, gemütlich gemacht: Der Weg war schlammig, aber er schlief wie ein Toter, mit einem Ruder im Arm. Teufel lief mit einer leeren Flasche herum und fragte die anderen, wo der Nachschub abgeblieben sei. Aber er bekam keine Antwort, weil alle fix und fertig waren.
Während ich in meine Decke gehüllt davonging, fühlte ich mich auf einmal angeekelt. Obwohl ich ziemlich betrunken dahertorkelte, weiß ich noch, dass ich plötzlich mit absoluter Klarheit wusste, dass wir nur eine Horde erbärmlicher Säufer waren, die zu nichts anderem taugten, als Ärger zu machen und sich selbst zu ruinieren.
Ich schlief sofort ein. Erst gegen Abend, als es schon dunkel wurde, wachte ich auf. Meine Freunde riefen nach mir. Ich schlug die Augen auf und blieb reglos liegen; noch stärker als in der Nacht zuvor spürte ich, dass in meinem Leben etwas passieren würde. Ich hatte keine Lust aufzustehen, ich wollte in den Büschen bleiben.
Als wir nach Hause kamen, ging ich in die Sauna. Ich zündete den Ofen an und verbrannte ein bisschen Holz, dannschnitt ich trockene Eichenzweige zurecht und weichte sie in warmem Wasser ein,
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