Sibirisches Roulette
deckt alles zu – das Menschliche und Unmenschliche. Allein sind wir dann wieder; nur Gott ist bei uns.«
In der Kirche indessen sagte er, nachdem er sich umgezogen und die Nässe von seinem nackten Körper gerieben hatte, ganz unchristlich zu Korolew: »Wenn er mir auch noch einen Schnupfen verpaßt hat, werd' ich am Sonntag, bei der Gedenkminute, auf seinen Namen niesen …«
Vergeblich versuchte General Tjunin viermal, Krasnikow über Funk zu erreichen. Beim fünften Summen und Flackern der roten Lampe am Sendegerät erbarmte sich Jugorow, stülpte den Kopfhörer über und drückte die Tasten herunter.
»Ja?« sagte er.
Tjunin atmete auf. Endlich, dachte er. Halte dich fest, mein Sohn, jetzt donnert's gleich.
»Warum melden Sie sich nicht?« brüllte Tjunin in das Mikrofon. »Ich weiß, daß es bei Ihnen regnet wie aus Kübeln, aber das ist kein Grund, sich hinzulegen und toter Mann zu spielen!«
Makaber war das. Jugorow empfand es genauso und hob die Schultern.
»Wer ist da?« fragte er.
»Krasnikow? Auch noch besoffen sind Sie!« schrie Tjunin. »Wer ist hier wohl? General Tjunin. Ich erwarte Meldung.«
Die GRU. Tjunin, dessen Name nur wenige kennen. Tjunin, der leben und sterben läßt.
»Ich habe nichts zu melden«, sagte Jugorow laut. Und jetzt merkte auch Tjunin, daß nicht Krasnikows Stimme zu ihm sprach. Erstaunt blickte Tjunin auf seinen mit Papieren bedeckten Tisch.
»Wo ist Krasnikow?« fragte er.
»Tot …«
Tjunin setzte sich gerade in seinen Sessel, rückte an seinem altmodischen Kneifer, den außer ihm nur noch Molotow getragen hatte, und von sich selbst verblüfft bemerkte er, daß seine Hand, die das Mikrofon hielt, von einem leichten Zittern befallen war.
»Und wer sind Sie?« fragte er.
»Der ›Spezialist‹, Genosse General.«
Wortlos unterbrach Tjunin die Verbindung. Behutsam legte er das Mikrofon, als sei es aus Glas, auf den Tisch, lehnte sich dann weit zurück und starrte gegen die Decke. Er war ein guter Spieler … verloren hatte er und trug es mit Würde. Nur was er seinem Freund General Kulpakow vom KGB sagen sollte, das wußte er noch nicht. Auf keinen Fall konnte man eingestehen, gescheitert zu sein. An einem einzigen Mann gescheitert! Das mußte seelisch erst überwunden werden.
Tjunin holte aus der Lade des Schreibtisches eine dünne Akte, schlug sie auf und strich mit einem Rotstift die Namen Krasnikow und Meteljew durch. Ohne Bemerkung, ohne eine Notiz hinzuzufügen. Zwei zittrige Striche … seine Hand gehorchte ihm noch nicht.
Eine verlorene Schlacht ist noch kein verlorener Krieg. Dieser alte Trost der Feldherrn richtete auch Tjunin auf.
Er beschloß, noch einmal zum Oberst Tobombajew und seinen SPEZNAS zu fliegen.
Im Baulager rauchten die neuen Steinöfen. Tschuptikow, der Küchenleiter, der nach dem Wegsprengen seiner schönen Küche zuerst geschrien hatte, nun könne er sich aufhängen, der später apathisch herumsaß und auf Noskows anzügliche Frage, ob man aus Farn nicht Spinat kochen konnte, mit großer Traurigkeit antwortete: »Friß deinen Schwanz, den kannst du entbehren.« – Tschuptikow also werkelte an drei großen Flußsteinöfen herum. Dicke Tränen hatte er in den Augen; nicht seines Schicksals wegen, sondern weil das nasse Feuerholz einen solch beißenden Qualm entwickelte, daß alle anderen Küchenhilfen davor wegliefen. Regen und Wind drückten den Rauch immer wieder in die Küche hinein; der gemauerte Schornstein erwies sich als falsch konstruiert. »Nur Hirnlose!« schrie Tschuptikow. »Nur schlaffe Schläuche, und die soll ich auch noch mit Fressen füllen?!« Aber nachdem die kleine Kolonne aus Tobolsk gekommen war, gab es wenigstens nicht mehr nur saure Suppe, sondern Nudeln und Reis und ein paar Bröckchen Fleisch für jeden. Nach Einsetzen des Frostes, so hoffte jeder, würden neue Lastwagen von Tobolsk bis Nowo Gorodjina durchbrechen.
Dann blies ein heftiger Sturm den Regen weg. Die Dächer und selbst die Wände der Fertighäuser bebten unter dem Aufprall der Luftmassen, drei Peitschenlampen knickten um, ein Wirbel drehte eine breite Schneise durch den Wald, die Ruine des gesprengten Kesselhauses fiel zusammen. Keiner wagte es mehr, die Häuser zu verlassen, nachdem drei Männer wie von Geisterhand emporgehoben worden waren, das seltene Gefühl des freien Fluges erlebten und dann zunächst an einem Eisenstapel und dann bei Walja im Hospital landeten.
»Es trifft uns heute richtig!« sagte Schemjakin, wenn sein ganzes Haus
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