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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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geschah, womit er niemals gerechnet hätte: Sie ergriff seine Hand.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, du kannst nicht mit mir kommen. Du solltest   …«
    Sie wartete seine Rede nicht ab, sondern rannte los und zog Rouven an der Hand mit sich. Sie riss die Tür mit den Brandsymbolen auf, eilte Rouven voran durch das ganze Haus und führte ihn mit einer Zielstrebigkeit durch den Keller und zu einer Hintertreppe hinaus, dass Rouven sicher war, in ihrem Zuhause zu sein. Durch den Garten und schließlich durch die Straßen des Stadtviertels zog sie ihn fort von dem Haus und damit immer weiter fort von den Sirenenklängen der Polizei.
    Rouven rannte mit ihr. Er war zu erstaunt, als dass er darüber hätte nachdenken oder irgendetwas dagegen unternehmen können. Er ließ sich von ihr führen, bis beide völlig erschöpft hinter einer Hausecke anhielten und sie zum ersten Mal Rouvens Hand losließ.
    Sie schnauften und rangen beide um Kraft.
    »Danke!«, brachte Rouven mühsam hervor. Die Polizeisirenen waren kaum noch zu hören. Man musste sich schon darauf konzentrieren. Sie hatten einiges an Entfernung zwischen sich und die Beamten gebracht.
    Rouven blickte sich um. Er kannte diese Gegend. Die verfallene Fabrik zu ihrer Linken, mit den rostenden Gerätschaften davor. Die verlassene Baustelle zu ihrer Rechten, wo ein Kran wahrscheinlich schon Jahre darauf wartete, dass die Arbeit wieder aufgenommen wurde.
    Rouven schätzte seinen Heimweg zum Park auf etwa eine Stunde.
    Er wandte sich seiner Begleiterin zu und fragte sich, ob er sie mitnehmen sollte. Vielleicht war es auch ratsamer, ihr den Weg zur Polizeistation zu zeigen. Oder zu einem Arzt. Einem Krankenhaus. Oder   …
    Doch bevor er sie fragen konnte, nahm sie ihm die Entscheidung ab. Wieder suchte ihre Hand seine, und sie blickte ihn erwartungsvoll an.
    So war es dieses Mal Rouven, der führte. Durch Nebenstraßen hindurch brachte er sie zum Stadtpark. Ihre Hand immer fest in seiner. Rouven durchströmten Gefühle, die er bisher nicht gekannt hatte. Hier hielt er einen Menschen an der Hand, den er nicht kannte und der ihm doch mehr Vertrauen entgegenbrachte als irgendein Mensch zuvor.
    Rouven war gerührt. Und   … ja, er musste es zugeben: glücklich. Ein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Dies war der erste Moment, an den er sich erinnern konnte, in dem er sein Leben nicht mit jemandem hätte tauschen wollen.
    Er drehte sich zur Seite und lachte sie an. Und schließlich fiel ihm etwas ein.
    Er blieb stehen und stellte sich ihr gegenüber. Er zog seine Hand aus ihrer und hielt sie ihr offen zur Begrüßung entgegen.
    »Mein Name ist Rouven«, sagte er.
    Sie ergriff seine Hand. Und endlich erhielt er eine Antwort. Endlich formte sich das erste Wort aus ihrem Mund: »Tabitha«, sagte sie.
    Dann zog sie ihre Hand zurück und fingerte sich wieder so in seine Faust, dass Rouven sie weiter durch den Park führen konnte.

G anz klar seine Handschrift!«
    Mayers sprach das aus, was alle dachten: Wieder einmal hatte der Neumond-Täter zugeschlagen.
    »Und wir stehen erneut vor diesem Scherbenhaufen und haben nichts in der Hand.« Jetzt änderte sich Mayers’ Stimme, während er mit der offenen Hand auf die Verwüstungen der Wohnung wies: »Seine Fingerabdrücke haben wir. Sein Blut wurde auch schon analysiert. Nichts. Er ist bisher nie straffällig gewesen. Das macht einfach keinen Sinn. Warum sollte ein so junger Mensch quasi aus dem Stegreif anfangen, Menschen zu entführen und Wohnungen zu zerstören? Und das mit einer Geschicklichkeit, die uns wie Idioten aussehen lässt. Woher hat er das kriminelle Potenzial, wenn er vorher noch nie aufgefallen ist?«
    »Und wenn es doch eine Gruppe von Tätern ist?« Tallwitz stellte sich zu Mayers. Der hatte diese Frage schon erahnt. Er und Tallwitz waren nun schon so viele Jahre Partner, dass ein Blick genügte, wenn einer der beiden die Gedanken des anderen erraten wollte.
    Genervt kickte Mayers mit seinen roten Turnschuhen einen Kugelschreiber zur Seite, der vor seinen Füßen gelegen hatte. Noch nie hatte er einen solchen Hass auf einen Tatort entwickelt. Die Spurensicherung war bereits durch, da musste er keine Vorsicht mehr walten lassen.
    »Es wurde bisher immer nur eine Sorte Fingerabdrücke gefunden. Und auch nur das Blut eines Einzelnen. Wenn es sich um eine Gruppe von Tätern handeln würde, dann müsste man schon mehr finden.« Nun kickte er auch noch den Stifthalter hinterher, der ebenfalls vorihm gelegen hatte.

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