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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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»Es ist zum Auswachsen. Seit Monaten gelingt es uns nicht, den Kerl dingfest zu machen. Wir brauchen dringend   …«
    »… eine neue Spur!«, rief Tallwitz aus, und Mayers blickte ihn fragend an.
    »Was?«
    »Das war es doch, was du sagen wolltest. Wir brauchen eine neue Spur. Und nun sieh dir mal das an   …« Er ging zu der Stelle, an der Rouven zuvor Tabitha von ihren Fesseln befreit hatte, und kniete sich auf die Erde. »Das ist neu. Das hatten wir noch nicht.«
    Mayers ließ sich ebenfalls auf den Boden nieder. »Fesseln?«
    Tallwitz streifte sich einen Gummihandschuh über und hob die Fesseln auf. Er zeigte mit dem Finger darauf. »Blut!«
    »Das nenne ich wirklich eine neue Spur«, raunte Mayers grüblerisch. »Sein Blut?«
    Tallwitz zog die Schultern in die Höhe. »Möglich. Vielleicht aber auch nicht.« Er wies auf eine winzige Lache am Boden. »Hier hat sich jemand verletzt.«
    Mayers schaute sich um, zu der Stelle, an der Rouven erwacht war. »Dort ist weit mehr Blut.«
    »Du denkst   …«
    »… es waren zwei Personen hier. Über längere Zeit.« Er sah sich grübelnd im Raum um, gerade so, als erblicke er das alles zum ersten Mal. »Das Ganze hier   …«
    »… ist völlig anders abgelaufen als in den Neumondnächten zuvor«, beendete Tallwitz den Satz. »Das sehe ich auch so. Noch nie haben wir eine Spur der vermissten Bewohner gefunden. Und jetzt liegen diese Fesseln hier.«
    Mayers kratzte sich am Kopf. »Tallwitz, was war hier los?«
    »Ich kann nur raten«, gab der Partner zur Antwort. »Normalerweise schafft er die Ehepaare, die in den Wohnungen leben, ohne eine einzige Spur aus den Häusern. Vielleicht ist er diesmal gestört worden. Vielleicht hat ihn jemand entdeckt. Erwischt. Und er war gezwungen, anders vorzugehen. Oder aber   …«
    »… es kam ganz anders.« Mayers griff Tallwitz am Arm. Er zog ihn durch den Raum bis zu einem umgestoßenen Schrank.
    »He, was   …!«
    Mayers holte hinter dem Schrank etwas hervor. Einen Bilderrahmen. Ein Foto, von dem er nur einen winzigen Teil hatte erkennen können. Gerade nur die drei Gesichter der darauf abgebildeten Familie.
    Tallwitz verstand sofort. »Hier lebte nicht nur ein Ehepaar.«
    »Hier lebte eine Familie. Eltern mit Tochter.«
    »Das hat natürlich die ganze Situation für ihn geändert.«
    Mayers drehte sich zu der Stelle um, an der Tallwitz die Fesseln gefunden hatte. »Nun hat er auch noch ein Mädchen in seiner Gewalt.«
    Tallwitz schluckte. »Ob sie weiß, in welcher Gefahr sie sich befindet? Der Kerl ist unberechenbar.«
    »Verflixt, Tallwitz. Wir haben einen riesigen Fehler begangen. Wir hätten ihn nicht entkommen lassen dürfen. Neulich.«

H ätte Rouven einen Wunsch freigehabt, so hätte er jede Fee darum gebeten, dass dieser Weg nie enden sollte. Bis in alle Ewigkeit hätte er so, Hand in Hand mit Tabitha, durch den Park spazieren wollen.
    Dass sie gesprochen hatte, verstärkte sein Glücksgefühl nur noch mehr. Auch wenn es nur ein einziges Wort gewesen war. Es hatte ihr anscheinend gutgetan, die Wohnung   – den Tatort   – zu verlassen.
    Schließlich blieb Rouven stehen. »Das ist mein Zuhause«, sagte er in einem Ton, der ahnen ließ, wie sehr er sich schämte. Sie öffnete die Augen vor Verwunderung, doch entgegen Rouvens Befürchtung ließ sie seine Hand nicht los.
    »Lass dich nicht abschrecken«, bat er. »Drinnen ist es weitaus gemütlicher, als man von außen ahnen könnte.«
    Sie sah ihn zweifelnd an. Rouven ergriff mit seiner freien Hand den Griff der riesigen stählernen Tür. Es kostete ihn einige Kraft, den Zugang zu diesem uralten, längst stillgelegten städtischen Wasserwerk zu öffnen. Sonst zog er die verrostete Tür immer mit beiden Händen auf. Doch für nichts in der Welt hätte er Tabithas Hand losgelassen.
    Schließlich gelang es ihm, die Tür zu öffnen. Sie kreischte in ihren Angeln auf, und mit einem letzten zweifelnden Blick auf das uralte bunkerähnliche Gebäude, das sich unter all den wuchernden Büschen, die es umrankten, regelrecht zu verstecken schien, ließ sich Tabitha von Rouven ins Innere führen.
    An den klammen, gammeligen Geruch musste sich das Mädchen erst gewöhnen. Die Stahlwände waren feucht. Und ob sie jemalseinen Anstrich verpasst bekommen hatten, war nicht mehr auszumachen. Durch den langen, schlauchförmigen Eingang hindurch bedeckte nasser, brauner Rost die Wände. Der Boden war lehmig, aber wenigstens trocken. Die schmutzige Decke hing tief. Rouven musste sich

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