Siddharta
Vergessenes mahnte. Dann sah er Kamala, die er alsbald erkannte, obwohl sie besinnungslos im Arm des Fährmanns lag, und nun wusste er, dass es sein eigener Sohn sei, dessen Gesicht ihn so sehr gemahnt hatte, und das Herz bewegte sich in seiner Brust.
Kamalas Wunde wurde gewaschen, war aber schon schwarz und ihr Leib angeschwollen, ein Heiltrank wurde ihr eingeflösst. Ihr Bewusstsein kehrte zurück, sie lag auf Siddharthas Lager in der Hütte, und über sie gebeugt stand Siddhartha, der sie einst so sehr geliebt hatte. Es schien ihr ein Traum zu sein, lächelnd blickte sie in ihres Freundes Gesicht, nur langsam erkannte sie ihre Lage, erinnerte sich des Bisses, rief ängstlich nach dem Knaben.
»Er ist bei dir, sei ohne Sorge«, sagte Siddhartha. Kamala blickte in seine Augen. Sie sprach mit schwerer Zunge, vorn Gift gelähmt. »Du bist alt geworden, Lieber«, sagte sie, »grau bist du geworden. Aber du gleichst dem jungen Samana, der einst ohne Kleider mit staubigen Füssen zu mir in den Garten kam. Du gleichst ihm viel mehr, als du ihm damals glichest, da du mich und Kamaswami verlassen hast. In den Augen gleichst du ihm, Siddhartha. Ach, auch ich bin alt geworden, alt - kanntest du mich denn noch?«
Siddhartha lächelte: »Sogleich kannte ich dich, Kamala, Liebe.«
Kamala deutete auf ihren Knaben und sagte: »Kanntest du auch ihn? Er ist dein Sohn.«
Ihre Augen wurden irr und fielen zu. Der Knabe weinte, Siddhartha nahm ihn auf seine Knie, liess ihn weinen, streichelte sein Haar, und beim Anblick des Kindergesichtes fiel ein brahmanisches Gebet ihm ein, das er einst gelernt hatte, als er selbst ein kleiner Knabe war. Langsam, mit singender Stimme, begann er es zu sprechen, aus der Vergangenheit und Kindheit her kamen ihm die Worte geflossen. Und unter seinem Singsang wurde der Knabe ruhig, schluchzte noch hin und wieder auf und schlief ein. Siddhartha legte ihn auf Vasudevas Lager. Vasudeva stand am
Herd und kochte Reis. Siddhartha warf ihm einen Blick zu, den er lächelnd erwiderte.
»Sie wird sterben«, sagte Siddhartha leise.
Vasudeva nickte, über sein freundliches Gesicht lief der Feuerschein vom Herde.
Nochmals erwachte Kamala zum Bewusstsein. Schmerz verzog ihr Gesicht, Siddharthas Auge las das Leiden auf ihrem Munde, auf ihren erblassten Wangen. Stille las er es, aufmerksam, wartend, in ihr Leiden versenkt. Kamala fühlte es, ihr Blick suchte sein Auge.
Ihn anblickend, sagte sie: »Nun sehe ich, dass auch deine Augen sich verändert haben. Ganz anders sind sie geworden. Woran doch erkenne ich noch, dass du Siddhartha bist? Du bist es, und bist es nicht.«
Siddhartha sprach nicht, still blickten seine Augen in die ihren.
»Du hast es erreicht?« fragte sie. »Du hast Friede gefunden?«
Er lächelte und legte seine Hand auf ihre.
»Ich sehe es«, sagte sie, »ich sehe es. Auch ich werde Friede finden.«
»Du hast ihn gefunden«, sprach Siddhartha flüsternd. Kamala blickte ihm unverwandt in die Augen. Sie dachte daran, dass sie zu Gotama hatte pilgern wollen, um das Gesicht eines Vollendeten zu sehen, um seinen Frieden zu atmen, und dass sie statt seiner nun ihn gefunden, und dass es gut war, ebenso gut, als wenn sie jenen gesehen hätte. Sie wollte es ihm sagen, aber die Zunge gehorchte ihrem Willen nicht mehr. Schweigend sah sie ihn an, und er sah in ihren Augen das Leben erlöschen. Als der letzte Schmerz ihr Auge erfüllte und brach, als der letzte Schauder über ihre Glieder lief, schloss sein Finger ihre Lider.
Lange sass er und blickte auf ihr entschlafenes Gesicht. Lange betrachtete er ihren Mund, ihren alten, müden Mund mit den schmal gewordenen Lippen, und erinnerte sich, dass er einst, im Frühling seiner Jahre, diesen Mund einer frisch aufgebrochenen Feige verglichen hatte. Lange sass er, las in dem bleichen Gesicht, in den müden Falten, füllte sich mit dem Anblick, sah sein eigenes Gesicht ebenso liegen, ebenso weiss, ebenso erloschen, und sah zugleich sein Gesicht und das ihre jung, mit den roten Lippen, mit dem brennenden Auge, und das Gefühl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit durchdrang ihn völlig, das Gefühl der Ewigkeit. Tief empfand er, tiefer als jemals, in dieser Stunde die Unzerstörbarkeit jedes Lebens, die Ewigkeit jedes Augenblicks. Da er sich erhob, hatte Vasudeva Reis für ihn bereitet. Doch ass Siddhartha nicht. Im Stall, wo ihre Ziege stand, machten sich die beiden Alten eine Streu zurecht, und Vasudeva legte sich schlafen. Siddhartha aber ging hinaus und
Weitere Kostenlose Bücher