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Blütenblatt nach innen bog, so daß wir, als wir ihm folgten, in eine Art Furche oder Felsfalte gerieten, die wie eine Gasse immer tiefer führte und uns den Blicken der unten Wartenden völlig verbarg. Diese Gasse, die von der Natur geformt schien, mündete nach fünfzig oder sechzig Schritten plötzlich in eine gleichfalls natürliche, im rechten Winkel zu ihr liegende Höhle. Daß es sich um eine natürliche und nicht künstlich angelegte Höhle handelte, schloß ich aus ihrer unregelmäßigen Form und ihrem gekrümmten Verlauf, die den Eindruck erweckten, als sei sie durch eine ungeheuer starke Explosion von Gasen entstanden, welche, dem Weg des geringsten Widerstandes folgend, sich eine Bresche durch das Gestein bahnten. Sämtliche von den alten Kôrern angelegten Höhlen waren hingegen von nahezu perfekter Regelmäßigkeit und Symmetrie. Am Eingang dieser Höhle blieb Ayesha stehen und befahl uns, die beiden Lampen anzuzünden. Ich tat es, gab ihr die eine und nahm die andere selbst. Darauf betrat sie, uns vorangehend, die Höhle, wobei sie sich größter Vorsicht befleißigte, denn der Boden war äußerst uneben, gleich einem Flußbett mit großen Steinen übersät und an manchen Stellen voller tiefer Löcher, in denen man sich leicht ein Bein brechen konnte.
Etwa zwanzig Minuten lang drangen wir in diese Höhle vor, welche, soweit ich dies bei den zahlreichen Krümmungen und Biegungen beurteilen konnte, etwa eine Viertelmeile lang war. Endlich erreichten wir das andere Ende, und während ich mich mühte, das Dunkel mit meinen Augen zu durchdringen, fegte plötzlich ein Windstoß über uns hinweg und löschte beide Lampen aus.
Ayesha, die uns ein Stück voraus war, rief uns, und als wir zu ihr krochen, wurden wir durch einen Anblick belohnt, dessen Düsterkeit und Größe uns überwältigte. In dem schwarzen Fels vor uns tat sich ein mächtiger Abgrund auf, gezackt, zerrissen und zerfetzt, als hätte in ferner Vorzeit ein schreckliches Naturereignis das Gestein gespalten, als hätten ungeheure Blitze darin eingeschlagen. Die Schlucht war auf unserer Seite von einer schroff abfallenden Wand begrenzt, und vermutlich auf der anderen, die wir nicht sehen konnten, ebenfalls, doch da es um uns nahezu völlig finster war und von der Oberfläche des fünfzehnhundert oder zweitausend Fuß hohen Felsens nur ein ganz schwacher Lichtschimmer zu uns herunterdrang, konnten wir nicht erkennen, wie breit sie war. Die Höhle, die wir durchschritten hatten, endete hier in einem höchst merkwürdigen riesigen Felsvorsprung, der etwa fünfzig Fuß weit in die Schlucht hineinragte und dessen Form dem Sporn am Fuße eines Hahnes ähnelte. Dieser ungeheure Sporn war nur an seiner Basis mit dem Felsgestein verbunden, ansonsten jedoch ohne jede Stütze.
»Hier müssen wir hinüber«, sagte Ayesha. »Seht euch vor, daß ihr nicht schwindlig werdet oder der Sturm euch in die Schlucht hinabreißt, denn sie ist wahrlich bodenlos«, und ohne uns länger Zeit zu furchtsamen Überlegungen zu lassen, stieg sie den Sporn hinan, und wir folgten ihr, so gut wir konnten. Ich ging hinter ihr, dann folgte Job, mühsam seine Planke schleppend, und Leo bildete die Nachhut. Es war wunderbar anzusehen, wie diese unerschrockene Frau ohne Zagen den gefährlichen Weg erklomm. Ich selbst sah mich nach wenigen Schritten infolge des starken Luftzuges und aus Furcht vor einem Fehltritt veranlaßt, mich auf Hände und Knie niederzulassen und weiterzukriechen, und die beiden anderen taten es mir nach.
Ayesha hingegen schritt, ihren Körper den Windstößen entgegenstemmend, aufrecht weiter und schien nicht einen Augenblick die Ruhe oder das Gleichgewicht zu verlieren.
Als wir nach einigen Minuten etwa zwanzig Schritte auf dieser schrecklichen Brücke, die immer schmaler wurde, hinter uns gebracht hatten, fegte plötzlich ein starker Windstoß durch die Schlucht. Ich sah, wie Ayesha sich dagegen warf, doch die Bö fuhr unter ihren schwarzen Mantel und riß ihn ihr herunter, so daß er wie ein verwundeter Vogel in die Schlucht hinunterflatterte und im Dunkel verschwand. Ich klammerte mich an den Felsen, und um mich blickend, spürte ich, wie der große Sporn gleich einem lebendigen Wesen mit einem dröhnenden Geräusch erzitterte. Es war ein schauriger Anblick, der sich uns bot, so im Dunkel zwischen Himmel und Erde schwebend: unter uns Hunderte und aber Hunderte Fuß gähnender Leere, allmählich immer dunkler werdend und schließlich in absoluter
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