Sie
rutschte, hörte sie gegen einen Felsvorsprung schlagen – und dann war sie verschwunden.
»Wie kommen wir nun zurück?« rief ich.
»Keine Ahnung«, erwiderte Leo im Dunkeln. »›Ein jeder Tag hat seine eigene Plage.‹ Ich bin froh und dankbar, daß ich hier bin.«
Da rief mir Ayesha zu, ihre Hand zu nehmen und ihr nachzukriechen.
25
Der Geist des Lebens
Ich gehorchte und spürte voll Furcht und Zittern, wie sie mich zum Rand des Steines führte. Als ich mich mit meinen Füßen vorwärtstastete, trafen sie ins Leere.
»Ich stürze!« keuchte ich.
»Nein, vertraue mir nur und laß dich fallen«, erwiderte Ayesha.
Wenn man meine Lage bedenkt, wird man sicherlich zugeben, daß dies ein wenig viel verlangt war, zumal ich ja Ayeshas Charakter kannte. Wie konnte ich wissen, ob sie mich nicht einem gräßlichen Schicksal zu überantworten gedachte? Doch wir sind im Leben nicht selten gezwungen, blindlings zu vertrauen, und so war es jetzt.
»Lasse dich los!« rief sie, und da ich keine andere Wahl hatte, tat ich es.
Ich fühlte, wie ich ein Stück die Kante des Steines hinabglitt; dann fiel ich ins Leere, und mich durchzuckte der Gedanke, ich sei verloren. Doch nein! Im nächsten Augenblick stießen meine Füße auf steinigen Boden, und ich spürte, daß ich auf etwas Festem stand, außer Reichweite des Windes, den ich über mir heulen hörte. Während ich so dastand und dem Himmel für diese neue Gnade dankte, hörte ich ein Scharren und Rutschen, und plötzlich erschien Leo neben mir.
»Holla, alter Junge!« rief er aus, »bist du's? Es wird allmählich interessant, nicht wahr?«
Kaum hatte er dies gesagt, da stürzte mit schrecklichem Gebrüll Job auf uns herab und riß uns zu Boden. Als wir uns hochgerappelt hatten, stand auch Ayesha bei uns und befahl, die Lampen anzuzünden, die zum Glück, ebenso wie der Ölkrug, unversehrt geblieben waren.
Ich holte meine Schachtel mit Wachszündhölzern hervor und strich eins an; es brannte an diesem unheimlichen Ort ebenso lustig wie in einem englischen Salon.
Nach wenigen Minuten brannten beide Lampen, und in ihrem Licht erblickten wir ein seltsames Bild. Wir standen dicht zusammengedrängt in einer Felsenkammer, die etwa zehn Fuß im Quadrat messen mochte, und machten höchst ängstliche Gesichter; das heißt, bis auf Ayesha, die ruhig und gelassen mit verschränkten Armen auf die Lampen wartete. Die Kammer schien teils von der Natur geformt, teils aus der Spitze des Kegels herausgehauen. Das Dach des natürlichen Teils bildete der schwankende Stein, das des hinteren Teils der Kammer, der sich abwärts neigte, war aus dem Felsgestein herausgeschlagen. Im übrigen war die Kammer warm und trocken – verglichen mit dem schwankenden Stein über uns und dem zitternden Felssporn, der mitten ins Leere ragte, eine wahre Stätte der Geborgenheit.
»So!« sagte ›Sie‹, »die Gefahr ist überstanden, obgleich ich einmal schon fürchtete, der schwankende Stein würde herabstürzen und euch in die bodenlose Tiefe schleudern, denn diese Schlucht reicht, soviel ich weiß, bis in den tiefsten Schoß der Erde. Der Fels, auf dem der Stein ruht, ist unter seinem schwankenden Gewicht morsch geworden. Nun, da er«, und sie deutete mit ihrem Kopf auf Job, der sich, auf dem Boden hockend, mit einem roten Taschentuch die Stirn abwischte, »den man mit Recht das ›Schwein‹ nennt, da er dumm ist wie ein Schwein, nun, da er die Planke hinunterfallen ließ, wird es nicht einfach sein, die Schlucht wieder zu überqueren, und ich muß nachdenken, wie wir dies anstellen werden. Doch nun ruht eine Weile aus und seht euch um. Was für eine Höhle, glaubt ihr, ist dies?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich.
»Würdest du es für möglich halten, o Holly, daß dereinst ein Mann dieses luftige Nest zu seiner Behausung erkor und hier viele Jahre lebte? Daß er sie nur jeden zwölften Tag verließ, um die Nahrung, das Wasser und das Öl sich zu holen, das die Leute in reichlichem Maß brachten und als Opfergabe in den Eingang des Tunnels legten, durch den wir hierhergelangt sind?«
Wir blickten erstaunt auf, und sie fuhr fort: »Ja, so war es. Es war ein Mann, der sich Noot nannte, und obgleich er später als das Volk von Kôr lebte, verfügte er doch über seine Weisheit. Ein Eremit war er und ein Philosoph, wohlvertraut mit den Rätseln der Natur; er war es, der das Feuer, welches ich euch zeigen will, entdeckte, das Feuer, in dem Blut und Leben der Natur sind und das dem,
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