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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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auch Ayeshas Stimmung, und zur Frühstückszeit hatte sie wieder ihre sonstige Ausgeglichenheit zurückgewonnen und schob lachend ihre Bedrücktheit auf die Erinnerung, die sich für sie mit dem Raum, in dem sie geschlafen hatte, verbanden.
    »Diese Barbaren sind überzeugt, daß in Kôr böse Geister hausen«, sagte sie, »und fast glaube ich, sie haben recht, denn eine so schlechte Nacht wie diese habe ich bisher nur ein einziges Mal verbracht. Ich erinnere mich ganz genau daran. Es war in der gleichen Kammer, damals, als du tot zu meinen Füßen lagst, Kallikrates. Ich will sie nie wieder betreten; es ist ein unheilvoller Ort.«
    Nach einer kurzen Frühstücksrast marschierten wir flott weiter, so daß wir um zwei Uhr nachmittags am Fuß der ungeheuren Felswand standen, welche den Rand des an dieser Stelle bis zu einer Höhe von fünfzehnhundert oder zweitausend Fuß schroff aufsteigenden Vulkans bildete. Wir machten halt, was mich nicht im mindesten verwunderte, denn eine Fortsetzung des Marsches schien gänzlich ausgeschlossen.
    »Nun beginnt unsere Mühsal erst so recht«, sagte Ayesha und stieg aus ihrer Sänfte, »denn hier müssen wir uns von diesen Männern trennen und uns allein behelfen. Du«, wandte sie sich an Billali, »bleibst mit diesen Sklaven hier und wartest auf unsere Rückkunft. Bis morgen mittag sollten wir wieder hier sein – wenn nicht, so warte.«
    Billali verneigte sich ehrfürchtig und versprach, ihrem erlauchten Befehl zu gehorchen, selbst wenn sie bis zu ihrem Tode warten müßten.
    »Dieser Mann, o Holly«, sagte ›Sie‹, auf Job deutend, »sollte am besten auch hierbleiben, denn da er nicht sehr beherzt und mutig ist, könnte ihm Schlimmes zustoßen. Überdies sind die Geheimnisse des Ortes, zu dem wir uns begeben, für gewöhnliche Augen nicht bestimmt.«
    Ich übersetzte dies Job, der mich sogleich inständigst, fast mit Tränen in den Augen, bat, ihn nicht zurückzulassen. Er sei überzeugt, sagte er, daß er nichts Schlimmeres erblicken werde, als er bereits gesehen habe, und der Gedanke, allein bei diesen ›gräßlichen Wilden‹ zu bleiben, die sicherlich die Gelegenheit nützen würden, ihn mit dem heißen Topf zu töten, sei ihm entsetzlich.
    Ich übersetzte seine Worte Ayesha, die achselzuckend erwiderte: »Nun gut, so mag er mitkommen, doch ich habe ihn gewarnt. Er kann diese Lampe tragen, und dies hier«, und sie deutete auf eine schmale Planke von etwa sechzehn Fuß Länge, die an die lange Tragstange ihrer Sänfte festgebunden war und anscheinend bei dem ungewöhnlichen Unternehmen einem unbekannten Zweck dienen sollte.
    Wir beluden also Job mit dieser festen, doch dabei sehr leichten Planke und drückten ihm eine Lampe in die Hand. Die andere band ich zusammen mit einem Krug voll Öl auf meinen Rücken, während wir Leo mit den Lebensmittelvorräten und einem Ziegenschlauch voll Wasser versahen. Als wir fertig waren, befahl ›Sie‹ Billali und den sechs stummen Trägern, sich hinter ein etwa hundert Meter entferntes blühendes Magnoliengebüsch zurückzuziehen und dort bei Todesstrafe zu warten, bis wir verschwunden waren. Sie verbeugten sich demütig und entfernten sich. Der alte Billali drückte mir zum Abschied freundlich die Hand und flüsterte mir zu, daß er froh sei, nicht an dieser wunderbaren Expedition teilnehmen zu müssen. Im nächsten Augenblick waren sie fort, und nachdem Ayesha uns kurz gefragt hatte, ob wir bereit seien, wandte sie sich ab und blickte die steile Felswand empor.
    »Du meine Güte, Leo«, sagte ich, »da sollen wir doch hoffentlich nicht hinaufklettern!«
    Während Leo, der teils fasziniert, teils verwirrt schien, die Achseln zuckte, begann Ayesha den Felsen auch schon zu erklimmen, und uns blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Es war erstaunlich anzusehen, mit welcher Leichtigkeit und Grazie sie von einem Felsblock zum anderen sprang. Der Aufstieg war jedoch nicht ganz so schwierig, wie ich gedacht hatte, obgleich es eine oder zwei unangenehme Stellen gab, an denen es nicht ratsam war, sich umzublicken. Auf diese Weise gelangten wir ohne große Mühe bis in eine Höhe von etwa fünfzig Fuß, und lediglich Job wurde durch seine Planke ein wenig behindert. Da wir uns dabei seitwärts bewegten, befanden wir uns nun etwa fünfzig oder sechzig Schritte links von unserem Ausgangspunkt. Plötzlich stießen wir auf einen Felsvorsprung, der anfangs ziemlich schmal war, sich dann jedoch immer mehr verbreiterte und zudem gleich einem

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