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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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von denen manche, vor allem jene an den Toren, vom Sockel bis zum Kapitell Skulpturen schmückten, und eine leere Kammer folgte der anderen, die Phantasie lebhafter anregend als von Menschen gefüllte Straßen. Und über allem schwebten das tödliche Schweigen der Toten, das Gefühl völliger Verlassenheit, der düstere Geist der Vergangenheit! Wie schön und doch wie traurig! Wir wagten kein lautes Wort zu sprechen. Selbst Ayesha erfüllte vor diesem Altar, demgegenüber sogar die Zahl ihrer Jahre gering schien, tiefe Ehrfurcht; wir flüsterten nur, und unser Flüstern schien von Säule zu Säule zu eilen, bis es sich in der stillen Nachtluft verlor. Hell schien das Licht des Mondes auf die Säulen und Höfe und verfallenen Mauern, all die Risse und Spalten mit seinem silbernen Schleier umhüllend und ihre graue Majestät in die Glorie der Nacht kleidend. Die Tempelruine von Kôr im Schein des Vollmondes war ein wunderbarer Anblick. Und wunderbar war es, sich vorzustellen, wie viele Jahrtausende die tote Kugel dort oben und die tote Stadt hier unten einander angeblickt und in der Einsamkeit des Weltraums die Geschichte ihres versunkenen Lebens und ihres lang entschwundenen Ruhms erzählt hatten. In dem fahlen Licht sahen wir die stillen Schatten langsam über die grasbewucherten Höfe kriechen wie die Geister alter Priester, die durch die Behausungen ihrer Gottheit wandeln; und immer mehr wuchsen die langen Schatten, bis die Schönheit und Erhabenheit des Bildes und die Majestät des Todes ganz Besitz von unseren Seelen ergriffen und eindringlicher von einer längst ins Grab gesunkenen und vergessenen Pracht zu uns sprachen als das Geschrei ganzer Heerscharen.
    »Kommt«, sagte Ayesha, nachdem wir, ich weiß nicht wie lange, in diesen Anblick versunken dagestanden hatten, »nun will ich euch der Schönheit steinerne Blume und die Krone aller Wunder zeigen, welche, der Zeit trotzend, die Herzen der Menschen mit Verlangen füllt nach dem, was hinter ihrem Schleier sich verbirgt«, und ohne auf eine Antwort zu warten, führte sie uns durch zwei weitere von Säulen umgebene Höfe in das Allerheiligste des uralten Tempels.
    Und dort, in der Mitte des innersten Hofes, der etwa fünfzig Meter im Quadrat messen mochte, traten wir vor das großartigste allegorische Kunstwerk, das menschliches Genie vielleicht je hervorgebracht hat. Genau im Mittelpunkt des Hofes ruhte auf einem viereckigen Felsblock eine Kugel aus schwarzem Stein von etwa zwanzig Fuß Durchmesser, und auf dieser Kugel stand eine riesige geflügelte weibliche Figur von solch bestrickender göttlicher Schönheit, daß mir, als ich sie, ins sanfte Licht des Mondes getaucht, erblickte, der Atem stockte und der Schlag meines Herzens einen Augenblick aussetzte.
    Die Statue war aus einem so reinen und weißen Marmor gehauen, daß sie selbst nach so vielen Jahrtausenden noch im Licht der sie umspielenden Mondstrahlen leuchtete, und ihre Höhe mochte etwas über zwanzig Fuß betragen. Es war die geflügelte Gestalt eines Weibes von solch wunderbarer Lieblichkeit und Anmut, daß die Größe ihre so menschliche und dennoch so überirdische Schönheit eher zu erhöhen als zu verringern schien. Sie stand vorgebeugt und hatte ihre Flügel halb ausgebreitet, wie um mit ihnen ihr Gleichgewicht zu bewahren. Die Arme streckte sie aus wie ein Weib, das den Geliebten umfangen will, und ihre ganze Haltung schien zärtlichstes Sehnen auszudrücken. Ihre makellose Gestalt war nackt, mit Ausnahme – und das war das seltsame – des Kopfes, den ein dünner Schleier verhüllte, so daß wir ihre Züge nur erahnen konnten. Das eine Ende des Schleiers fiel über ihre linke Brust, deren Umrisse darunter hervortraten; das andere, von dem ein Teil abgebrochen war, schwebte hinter ihr in der Luft.
    »Wer ist sie?« fragte ich, mit Mühe meinen Blick von der Statue losreißend.
    »Kannst du es nicht erraten, o Holly?« erwiderte Ayesha. »Hast du so wenig Phantasie? Es ist die Wahrheit. Sie steht auf der Welt und ruft den Menschen zu, ihr Antlitz zu entschleiern. Lies die Inschrift auf dem Sockel; sie dürfte aus dem heiligen Buch der Kôrer stammen«, und sie führte uns zu dem Fuß der Statue, in der eine aus den üblichen chinesisch aussehenden Hieroglyphen bestehende Inschrift so tief eingegraben war, daß sie, zumindest für Ayesha, noch lesbar schien. In ihrer Übersetzung lautete sie wie folgt:
    »›Gibt es denn keinen Mann, der mich entschleiern und auf mein Antlitz blicken und

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