Sie bauten eine Kathedrale
Der Bischof war zwar das Haupt der
Kirche von Chutreaux, aber die Finanzen verwaltete ein Gremium von Geistlichen,
das Domkapitel. So waren sie es, die den flämischen Architekten Wilhelm von
Planz beriefen. Wilhelm hatte seine Kenntnisse von Architektur und Technik
nicht allein in Frankreich erworben, auch in England und Deutschland hatte er
die Kathedralen studiert und an vielen sogar mitgearbeitet. Heimwärts ziehende
Kreuzfahrer hatten Kunde von diesem berühmten und hervorragenden Baumeister
nach Chutreaux gebracht. So kam es, daß das Domkapitel ihn in seine Dienste
nahm. Er wurde aufgefordert, Pläne zu zeichnen, die Bauleitung zu übernehmen
und alle für den Bau erforderlichen Handwerksmeister heranzuziehen.
Alle Handwerker waren Meister ihres
Gewerbes: der Steinbrecher, der Steinmetz und der Bildhauer, der Mörtelmischer
und der Maurer, der Zimmermann und der Schmied, der Dachdecker und der
Glasbläser.
Jeder Handwerksmeister hatte eine
eigene Bauhütte und beschäftigte viele Lehrlinge und Gesellen, die das Gewerbe
bei ihm in der Hoffnung erlernten, eines Tages selber Meister zu werden. Die
Schwerarbeit wurde größtenteils von Tagelöhnern verrichtet, Männern ohne
besondere Ausbildung, aus Chutreaux und Umgebung. Auch Kreuzfahrer, die auf dem
Heimweg waren, verdingten sich als Arbeiter.
In jeder Bauhütte benötigte man ganz
besondere Werkzeuge. Die Schmiede machten alle Geräte aus Metall; alle
dazugehörigen Holzteile fertigten die Drechsler an. Das meiste Werkzeug wurde
in den beiden größten Bauhütten bei den Steinmetzen und bei den Zimmerleuten
gebraucht.
Wochenlang saß Wilhelm zunächst über
Plänen und — Zeichnungen, bevor er sich für einen endgültigen Entwurf
entschied. Er hatte vom Domkapitel den Auftrag erhalten, die längste und
breiteste, die höchste und die schönste Kathedrale im Lande zu bauen. Diese
Anweisung brachte er nun in Verbindung mit Bausystemen und Einzelformen, die er
auf seinen Reisen studiert hatte. Die endgültigen Entwürfe wurden auf zwei
Gipstücher gezeichnet und dann dem Bischof und dem Domkapitel vorgelegt. Auf
dem einen stellte ein Grundriß den Plan der Gesamtanlage mit ihren
verschiedenen Raumzonen dar, auf dem anderen zeigte ein Aufriß den Aufbau der
Wand vom Erdboden bis zum Gewölbescheitel.
Nachdem der Plan gebilligt worden war,
wurde der Zimmermann mit seinen Gesellen und hundertfünfzig Tagelöhnern in den
Wald von Chantilly geschickt. Dort überwachte der Meister das Schlagen der
Bäume, aus denen Baugerüste, Bauhütten und Werkzeuge hergestellt werden
sollten.
Zur gleichen Zeit wurde der
Steinbrechermeister ausgesandt, um im Tal der Somme, das für seinen Kalkstein
berühmt ist, fünfzig Steinmetzgehilfen und zweihundertfünfzig Tagelöhner bei
ihrer Arbeit anzuleiten.
Außer der Bauhütte für die Steinmetzen
wurde dort eine Esse eingerichtet, damit alte abgenutzte Werkzeuge gleich vom
Schmied durch neue ersetzt werden konnten. Die Tagelöhner waren den Steinmetzen
behilflich, die riesigen Blöcke aus dem Steinbruch zu lösen. Dann wurden die
Steine behauen, geschnitten und gemeißelt, bis sie das Maß der Muster oder
Schablonen hatten, die der Maurermeister lieferte. Jeder Stein wurde dreifach
gekennzeichnet. Eine Marke zeigte seinen späteren Platz in der Kathedrale an,
eine zweite, aus welchem Steinbruch er kam, und eine dritte war das
Steinmetzzeichen dessen, der ihn bearbeitet hatte. Die Arbeiter wurden nämlich
nach der Anzahl der Steine, die sie herausgehauen oder bearbeitet hatten,
entlohnt.
Am vierundzwanzigsten Mai 1252 begannen
die Arbeiter, den Bauplatz für die Kathedrale herzurichten. Bis auf die Krypta,
in der die verstorbenen Bischöfe von Chutreaux bestattet lagen, wurden die
Ruinen der alten Kathedrale abgetragen, und zudem mußten zahlreiche Häuser und
sogar ein Teil des bischöflichen Palastes abgerissen werden, da die neue
Kathedrale bedeutend größer als die alte werden sollte. Auf der freigeräumten
Ostseite des Geländes wurde dann mit hölzernen Stangen die Lage der Apsis und
des Chors bezeichnet.
Man errichtete Bauhütten, die den
Handwerkern als Aufenthaltsort zum Essen wie zur Arbeit bei schlechtem Wetter
dienten. Eine weitere Esse wurde gebaut für die Herstellung von Werkzeugen und
Nägeln. Dann begannen die Arbeiter Erde für das Fundament auszuheben. Dieses
sollte dicke Mauern haben und fünfundzwanzig Fuß tief unter dem Boden liegen,
um das Gebäude zu stützen und die rechtwinklige Lage zu
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