Die Frau am Tor (German Edition)
Das Buch
„Die Frau am Tor“ ist jene Art Frau, von der man sich wünscht, ihr nie begegnet zu sein – aber erst dann, wenn es bereits zu spät ist: betörend und verstörend zugleich, mal bezirzend, dann wieder fast abstoßend, am Ende Mitleid erregend, eine femme fatale mit hohem Zerstörungspotenzial für das Leben eines Mannes, der es nichtsahnend mit ihr zu tun bekommt.
Dieser Mann heißt Robert Kessler und ist ein schon etwas älterer, einst sehr bekannter, weitgereister Reporter, der seit seinem Burnout ein zurückgezogenes, ruhiges Vorstadtleben führt. Auf einem nächtlichen Spaziergang in seinem Viertel trifft er am Tor eines Hauses auf eine völlig verwirrte junge Frau, die ihn verzweifelt um Hilfe bittet. Ohne zu wissen, auf was er sich einlässt, folgt er ihr ins Haus und findet dort einen Toten mit einem Küchenmesser in der Brust. Julia, die Frau, erzählt ihm, es handele sich um einen Bekannten aus früheren Zeiten, der sie in Abwesenheit ihres Mannes ganz harmlos besucht habe, aber plötzlich zudringlich geworden sei, sodass sie sich habe wehren müssen. Und sie offenbart ihm auch, dass sie an Angstzuständen leidet und nicht allein sein kann.
Kessler nimmt es auf sich, die Leiche zu beseitigen. Übermäßige Skrupel empfindet er angesichts dieser Notwehrsituation nicht, zumal er im Laufe seines bewegten Reportlebens eigene ethische Maßstäbe entwickelt hat. Doch damit ist diese Geschichte, die völlig anders ist als alle Geschichten, die er bis dahin erlebt und geschrieben hat, keineswegs erledigt.
Ohne es sich zunächst einzugestehen, gerät er immer stärker in Julias Bann und verbringt sogar eine Nacht mit ihr, während die Beziehung zu seiner Freundin Eva aufgrund seiner Heimlichtuereien und seines sonderbaren Verhaltens zunehmend größeren Belastungen ausgesetzt ist. Mehrmals versucht er sich von Julia zu lösen, doch sie verfolgt ihn und setzt ihm unerbittlich zu – vor allem, nachdem ein weiterer Mann ins Spiel gekommen ist, der sie angeblich erpresst. Nach einigen Tagen ist auch dieser Mann tot. Und abermals hilft er Julia, die Leiche aus ihrem Haus und beiseite zu schaffen.
Doch zu diesem Zeitpunkt ist Kesslers Leben bereits völlig aus den Fugen geraten. Er hat wieder zu trinken begonnen und ist sogar gegenüber Eva handgreiflich geworden, die ihn daraufhin endgültig verlässt. Und schließlich bekommt er Besuch von der Polizei, die sich längst mit den beiden rätselhaften Todesfällen beschäftigt und ihn mit einem weiteren konfrontiert.
1.
Sie tauchte auf, gerade als er in Höhe des Gartentors war, und im ersten Augenblick glaubte er, es mit einer Schlafwandlerin zu tun zu haben. Sie kam über den schmalen, von dichten, teilweise überhängenden Fliederbüschen gesäumten Pfad, der zum Hauseingang auf der Rückseite führte. Er war tagsüber gelegentlich hier vorbeigekommen und hatte sich gefragt, wer wohl in diesem schmucken Haus mit den Sprossenfenstern, den taubenblauen Schlagladen, die nur der Dekoration dienten, und dem schiefergedeckten Walmdach leben mochte, ohne allerdings je einen der Bewohner gesehen zu haben.
Die Frau, die jetzt von dort auf ihn zu kam, war so gut wie unbekleidet, wie trotz des spärlichen Lichts, das der kaum halbvolle Mond und die fahle Hausnummernbeleuchtung spendeten, unschwer zu erkennen war. In ihren Bewegungen lag etwas Verhaltenes, Verzögertes, sodass es fast wie ein Waten durch einen unsichtbaren Nebel aussah. Bei den letzten, plötzlich schnelleren Schritte bis zum Tor geriet sie beinahe ins Stolpern. Sie öffnete es und erstarrte, so als bemerke sie ihn erst jetzt, da sie nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Doch ihr Blick galt gar nicht ihm, so weit das für ihn auszumachen war, sondern schien auf irgendeinen fernen Punkt gerichtet, von dem wahrscheinlich nicht einmal sie selbst wusste, wo er sich befand.
Das alles spielte sich in Sekunden ab, und er registrierte es mehr instinktiv als bewusst, viel zu verblüfft, um einen Sinn darin auch nur erahnen zu können. Im nächsten Moment spürte er ihren Körper gegen seinen sacken und packte sie, einem Reflex gehorchend, um sie aufzufangen. Es war ein sehr schlanker, fester, junger Körper, was ihm trotz seiner Verwirrung nicht entging, zumal der Körper mit nichts als einem dünnen, kurzen Hemd bedeckt war, das kaum bis zu den Hüften reichte und unter seinem Griff auch noch hochrutschte.
Ihre Arme hingen schlaff herab. Auf einmal hob sie den Kopf – sie
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