Sie haben mich verkauft
anhielt und zu mir auf den Rücksitz kletterte.
»Was hast du denn allein am Strand gemacht, Oxana?«, fragte sie sanft.
Ich fing an zu schluchzen. »Du darfst es Mama und Papa nie sagen«, flüsterte ich.
Da fing auch Yula an zu weinen. Sie wusste, dass mein Vater sehr streng war. »Aber das muss ich«, sagte sie. »Du bist erst vierzehn. Ein kleines Mädchen. Sie müssen es erfahren.«
»Dann bringe ich mich um!«, schrie ich. »Ich weiß, wie das geht, und ich tue es auch.«
»Irgendwas müssen wir aber sagen, Oxana«, beharrte sie. »Du warst fast zwei Tage weg.«
»Denk dir was aus«, drängte ich sie. »Bitte, Yula, du musst mir helfen.«
Wir sprachen kein Wort mehr, als sie mich zu sich nach Hause fuhr und da auf meine Mutter wartete.
Eine Stunde später kam meine Mutter angelaufen. »Wo bist du gewesen?«, schrie sie und fing an, auf mich einzuschlagen. »Dein Vater hatte Herzschmerzen Tag und Nacht. Wegen dir waren wir nicht bei der Arbeit. Du bist ein böses Mädchen. Machst uns so viel Ärger. Wir hatten doch keine Ahnung, was los war.«
»Alexandra«, rief Yula, »du verstehst nicht! Die arme Oxana hat etwas Schreckliches durchgemacht. Ja, sie war unartig – sie ist heimlich mit ihren Freundinnen an den Strand gefahren –, aber sie und die anderen Mädchen sind von Straßenräubern überfallen worden. Sie sind furchtbar geschlagen worden, und man hat ihnen all ihre Sachen gestohlen und sie dann am Ende der Welt ausgesetzt. Sie kann von Glück sagen, dass sie überhaupt noch am Leben ist.«
Die Wut meiner Mutter verrauchte. »Ach, mein armer kleiner Liebling!«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Sie nahm mich in die Arme und drückte mich. Ich weiß nicht, wann sie so etwas das letzte Mal getan hatte.
Zu Hause schlüpfte ich in den Schlafanzug und ging direkt ins Bett. Am nächsten Tag erzählte ich Papa die Geschichte, die sich Yula ausgedacht hatte, und er stellte keine Fragen mehr, als ich anfing zu weinen. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich schlagen würde, aber das tat er nicht. Stattdessen schickten meine Eltern mich für eine Woche zu Verwandten aufs Land, und wir redeten nie wieder über das, was geschehen war.
Von allem, was danach kommen sollte, empfand ich den Tag am Strand beinahe als das Schlimmste. Ich war noch ein Kind gewesen, bis ich mit diesen Jungs durch den dunklenWald lief. Doch dann wurde ich mit Gewalt in die schmerzliche Welt der Erwachsenen hineingestoßen. In den Monaten darauf fing ich an, in meinen Träumen den Teufel zu sehen. Ich war fest überzeugt, dass er mich eines Tages töten würde.
KAPITEL 3
H allo«, sagte der junge Mann, als ich an seinen Tisch trat, um die Bestellung entgegenzunehmen. Er saß auf der Terrasse, die zum Café gehörte, las Zeitung und rauchte eine Zigarette. »Kann ich bitte einen Orangensaft haben?«
Er war zum vierten Mal im Café, und ich wusste, er war meinetwegen hier.
»Noch mal hallo«, sagte der Mann, als ich mit dem Saft zu seinem Tisch kam. Er war älter als ich, hatte grüne Augen, hellbraunes Haar und den gleichen kantigen Kiefer wie mein Lieblingsschauspieler Arnold Schwarzenegger.
Ich wusste, er wollte reden, aber obwohl ich ihn attraktiv fand, fühlte ich mich doch nicht in der Lage, mich mit ihm zu unterhalten. Fremde Männer machten mich sehr nervös, und ich blieb auf Abstand. Ich ging wieder rein und fing an, Gläser abzutrocknen. Nur noch ein paar Stunden, dann wäre ich mit der Arbeit fertig und könnte nach Hause, in das Zimmer, das ich mir mit Mama teilte. Wahrscheinlich war sie ausgegangen, und ich hätte das Zimmer ganz für mich allein.
Nach dem Tag am Strand ein Jahr zuvor hatte ich mich völlig verändert. Ich sprach nie darüber und traf mich auch nicht mit den beiden anderen Mädchen, als ich wieder zu Hause war, weil ich nicht wollte, dass deren Eltern Fragen stellten. Aber trotzdem musste ich dauernd an das denken, was passiert war, und bald sprach ich kein Wort mehr. Ich ging meinen Eltern aus dem Weg und schwieg wochenlang. Ein paar Monate später traf ich Sweta, und die erzählte mir, dass Nataschanach der Nacht nicht wieder aufgetaucht sei. Ich wusste nicht, ob das stimmte, aber ich glaubte ihr, als sie mir erzählte, sie habe einen ganzen Monat im Krankenhaus gelegen, nachdem sie von dreizehn Männern vergewaltigt worden sei. Ich fühlte mich so schuldig. Sie war jünger als ich, und ich hätte sie beschützen sollen.
Abgesehen von Sweta wusste nur Yula Bescheid. Als die Sache vor
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