Sieben auf einen Streich
Kassettenrekorder aus den Händen. Offenbar war
es ihm endlich gelungen, auch diesem den Todesstoß zu versetzen. Nachdem er so
alles erledigt hatte, was man zum Reparieren in seine Hand gegeben, griff er
zur Gitarre und zog sich mit Jette auf die Fensterbank zurück. Von dort aus
versorgten sie das Restaurant mit Musik, wobei auch die wohlbekannten Melodien
der Beatles nicht fehlten. Einige der Geschwister, das sah und hörte ich wohl,
brummten und summten mit. Ich konnte eine Träne der Rührung nur schwer
zurückhalten, als sich der liebe Junge an ›All you need is love‹ versuchte.
Zuerst Widerwillen, dann Rührung. Es
erging mir jetzt mit den Beatles wie damals, vor vielen Jahren, mit Tante
Malwinchens roter Grütze.
Beate und ich pflegten die Sommerferien
in Kolberg bei Tante Malwinchen zu verbringen, und immer wenn wir das taten,
baute sie diese verhaßte Süßspeise vor uns auf, mittags, und falls etwas übrig
blieb, auch noch abends.
»Ja, ist es denn die Möchlichkeit?« So
rief sie und rang die Hände, wenn wir die Hälse streckten vor Abscheu. »Ja,
jibt es denn so was auf Jottes Erdboden, Kinder, die kejne rote Jrütze mejen?«
Sie rollte die Augen und die R, denn sie stammte aus dem Baltikum. »Auf mejnen
Knien mechte ich Jott danken, wenn es mir noch verjönnt wäre, rote Jrütze zu
essen. Ihr wißt ja nicht, was jut ist! Aber, ich wer’ euch lehren! Ihr kricht
sie so lange, bis ihr sie jerne eßt!«
Sie hielt ihre Drohung. Kochte für uns
rote Grütze, die sie nicht essen durfte, weil sie zuckerkrank war, schaute
gierig auf unsere Grützeteller und aß dabei Brot mit Leberwurst und polnische
Gurken, lauter Leckerbissen, bei deren Anblick uns das Wasser im Mund zusammenlief
vor Appetit.
Nach den dritten Kolbergferien voll
ungetrübter Badefreuden, vergällt allein durch Tante Malwinchens
Rote-Grütze-Tick, beschlossen Beate und ich, Entscheidendes zu unternehmen,
auch wenn wir dabei auf der Strecke bleiben sollten.
Als die Tante im nächsten Sommer die
rote Köstlichkeit vor uns auf den Tisch stellte und die Kanne mit Vanillesoße
daneben, klatschten wir in die Hände, riefen: »Herr-rr-lich! Herr-rr-lich!« Und
rollten dabei die R so, wie wir es von der Tante gelernt hatten. Dann hoben wir
die Löffel und ließen sie nicht sinken, bis die rote Grütze verschwunden und
uns so bitterlich schlecht war, daß wir den Tisch eilends verlassen mußten.
»Nejn, es ist nicht zum Jlauben!« rief
die Tante hinter uns her. »Jetzt frrressen sie die jute Jrütze im Unverstand!
Nejn, ihr bejden, jetzt ist Schluß, jetzt kricht ihr kejne mehr! Ihr werdt
jefällichst essen, was ich och esse!«
Seit der Zeit durften wir polnische
Gurken essen und Leberwurst und Brot.
Aber die rote Grütze fehlte uns. Sie
gehörte zu Kolberg wie das spitzgiebelige Haus am Haberlingsplatz, in dem die
Tante wohnte. Wie Nettelbeck und Gneisenau, zu deren Denkmal sie uns immer
wieder schleppte, damit wir die beiden Helden in Ehrfurcht betrachten, ihre
Geschichte vernehmen und gleich ihnen dem Vaterland dienen sollten.
»Ihr müßt die Hejmatscholle lieben«, so
rief die Tante, »jejen die Fejnde kämpfen und tapfer sejn!«
Wir versprachen, daß wir dies tun
wollten, und warfen Strandkörbe um, wann immer sich die Gelegenheit bot. Dieser
Dienst am Vaterland erforderte große Tapferkeit, denn Strandwächter Bierlich,
klein, dick, aber sehr behende, lauerte hinter Dünen und Sandburgen, und ihm zu
entkommen, hätte selbst Nettelbeck und Gneisenau größte Schwierigkeiten
bereitet. War man in des Feindes Fänge geraten, so erging es einem schlecht,
und man mußte schleunigst ins kühle Meer waten, um seine Wunden zu kühlen.
Einmal hatte ihn Beate in die Arme der
Tante gejagt. Tante Malwinchen stand im Eingang der Sandburg und machte
Atemübungen, denn davon hielt sie viel. Sie schleuderte die Arme weit zurück,
schloß die Augen und atmete tief ein, »um die jesunde Meeresluft ejnzusaujen«.
Da raste Beate daher, und dicht hinter ihr Strandwächter Bierlich, zornrot und
schnaufend. Kurz vor der Sandburg warf sich Beate zur Seite. Strandwächter
Bierlich aber schoß weiter und landete in den ausgebreiteten Armen der Tante.
Sie ruderte heftig, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, schob dann den
Verdutzten von sich und sprach die Worte: »Juten Morjen, Herr Bierlich! Wohin
des Wejes?«
»Was isch denn, Mutti?« Mathias schaute
zu mir hinüber, in seinem Blick standen Tadel und Befremden.
»Mer lacht doch net so allei
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