Sieben Leben
unschlüssig
vor mir und fühlte sich unwohl in seiner Haut. Hängende Schultern, nervöser
Blick. Ein bißchen Abhärtung würde dem Mann nicht schaden.
„Haben Sie eigentlich einen Schlüssel für diese Ketten?“,
wollte ich wissen.
„Hm“, nickte der Inspektor kraftlos.
„Ich habe da eine Idee...“, sagte ich. Ich blickte dem Mann
tief in die Augen. Es war eine Entscheidung zu treffen. Ich wußte es. Er wußte
es. Und dann war es vorbei. Der Inspektor nickte ergeben. Wir waren uns
handelseinig.
Ein Trommelwirbel zerfetzte die mittägliche Stille.
„So Jungs, weiter geht’s. Alle Mann wieder an die Riemen!“.
Ich wunderte mich, was Daisy wohl im richtigen Leben für einen Job hatte. Stadionsprecher
vielleicht. Wahrscheinlich sprang er ein, wenn die Lautsprechanlage ausfiel.
Oder das hier war das richtige Leben und er arbeitete tatsächlich für den
Veranstalter dieser Managementkurse. Irgend jemand mußte ja die Verantwortung
an Bord haben. Das nahm ich jedenfalls an.
Ich würde diesen Veranstaltern jetzt mal gehörig die Meinung
sagen. Ich griff mir Schlüssel und Knüppel. Er lag überraschend gut in der
Hand. Ich stieß dem Inspektor
aufmunternd in die Seite, bevor ich seine Fesseln zuschnappen ließ und nickte
Vogelbauer zum Abschied kurz zu.
Die beiden griffen sich das Ruder und legten sich ins Zeug.
Der Inspektor hatte ohne zu zögern meinen Platz übernommen und fühlte sich in
seiner neuen Rolle sichtlich wohler. Er hatte noch nie gerne Leute angeschrien.
Ich hatte ihm einen Gefallen getan. Er mir auch.
Auf dem Weg zum Heck fiel mein Blick auf zwei Ruderer, die
nicht mit dem Herzen bei der Sache waren. Auch hier schien sich unser Ex-Inspektor
nicht den nötigen Respekt verschafft zu haben. Die beiden taten zwar so, als
zögen sie die Riemen durchs Wasser, aber in Wirklichkeit fuhren sie nur ein
bißchen durch die Luft. Auf diese besonders lässige Art und Weise, die allen
anderen Ruderkollegen klar machte, dass sie das ganz bewußt taten, weil sie
einfach ganz besonders cool waren. Warum sollten sie so blöde sein, und sich
hier ein Bein ausreißen?
Ich erkannte die Beiden sofort. Nicht persönlich, nein. Aber
ich kannte den Typ. Er war in jedem größeren Meeting zu finden. Überall. Der
Typ, der immer eine gescheite Frage stellte, wenn ein hohes Tier mit im Raum
war, aber nie etwas Produktives absonderte, wenn er unter Seinesgleichen war.
Der Typ, der immer kurz aufs Klo mußte, wenn die Arbeitspakete verteilt wurden.
Der Typ, der die Ruder nie voll durchzog, außer sein Chef stand daneben.
Im ersten Moment dachte ich mir nichts weiter dabei. Ich
hatte meine eigenen Probleme und die Nase voll. Von Cocktails. Von diesem Boot.
Von Persönlichkeitstrainings. Was gingen mich diese Leute, die sich nicht an
die Spielregeln hielten? Vielleicht wollten die auch einfach nur weg hier?
Noch vier Tage? Ha! Bei diesem herrlichen Wetter? Mit bester
medizinischer Betreuung? Das war doch absurd. Oder?
Über mir begannen die Seevögel wieder ihren eigentümlichen
Gesang. Das Meer glitzerte genüßlich, alle Tropfen mit sich selbst und mit
allen anderen im Einklang. Auch eine Art von Freiheit. Ein ewiger Kreislauf.
Ich schaute zum Heck hinüber. Daisy machte seinen Job und
nahm keinerlei Notiz von mir. Einer der Steuerleute sah mich und winkte kurz.
Ich hatte einen Knüppel, also war ich einer von Ihnen. Dass ich nicht wirklich
wie ein Gnom aussah, alleine schon, weil ich einen halben Meter größer war, von
den sechs Dioptrien und den saftigen Körperausdünstungen ganz zu schweigen, fiel
offenbar überhaupt nicht weiter auf.
Ich schaute zu meiner Reihe zurück. Vogelbauer winkte mir,
vergnügt wie immer, auf seinen Lippen ein wissendes Lächeln.
Das konnte ich doch nicht machen?
Nein, oder?
Eine Weile stand ich einfach so da. Einer der Jungspunde
neben mir versuchte gerade, mit dem Ruderblatt eine Möwe zu erschlagen, die neben
unserem Boot friedlich auf dem Wasser schwamm.
Ich nahm meinen Knüppel und stieß dem Quertreiber von hinten
ins Kreuz. Sanft, aber nicht zu sanft.
Vier Tage? Warum eigentlich
nicht!
„Hey ihr beiden, Schluß mit dem Unsinn! Ich werde ab jetzt
ein Auge auf Euch haben...“
Leben Nr. 7: Träumerei Einfach
nur ein Leben
Es war ruhig im Innenhof. Bis auf das sonore Brummen, das
aus dem offenen Doppelfenster im Erdgeschoß herüber wehte, sich auf dem Weg zu
mir aber irgendwie in das Rauschen eines sanften Bächleins verwandelte, und die
angenehme
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