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Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann

Titel: Sieben Siegel 04 - Der Dornenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fernsehen.«
    »Vergiss Chris nicht«, stichelte ihr Bruder.
    Lisa strafte ihn mit Missachtung. Sie wollte gerade auf den Klingelknopf drücken, als ihr etwas einfiel. »Wir können nicht klingeln. Davon wird der kleine Schreihals wach.«
    Nils hob die Schultern. »Gehen wir halt hintenrum.«
    Sie liefen an der Seite der Villa vorbei. Bäume und Büsche wucherten hier fast bis zur Hauswand.
    Nils stolperte prompt über eine leere Gießkanne. Der hohle Laut hallte dröhnend durch den Garten.
    »Komisch, dass die Lampen nicht angehen«, wunderte er sich. »Beim letzten Mal waren hier überall Bewegungsmelder.«
    »Kyra wird vergessen haben, sie einzuschalten«, vermutete Lisa.
    Sie bogen um die Ecke. Vor ihnen lag die dunkle Terrasse und der vordere Teil des Gartens. Im Licht des Vollmondes sahen die Tannen und Büsche aus, als wären sie mit Eis überzogen.
    Die Fensterfront des Wohnzimmers war dunkel.
    »Was ist denn das?« Nils deutete auf die Schiebetür. Der Durchgang war mit irgendetwas ausgefüllt, das aussah wie … Dornenranken!
    Lisa blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Blick raste instinktiv auf ihren Unterarm.
    »Oh nein!«, entfuhr es ihr leise.
    Nils schaute ebenfalls hin. Ein Zittern durchlief seinen Körper, als er die Sieben Siegel erkannte: vorzeitliche Schriftzeichen, die aussahen, als hätte ein mittelalterlicher Folterknecht sie mit heißem Eisen in die Haut gebrannt. Sie erschienen nur dann, wenn Gefahr drohte. Während der übrigen Zeit blieben sie unsichtbar.
    Die Geschwister rückten enger zueinander. Ihre Blicke rasten nervös durch den dunklen Garten. Falls irgendwo Gegner lauerten – und die Siegel hatten noch nie getrogen –, bot sich ihnen eine Unzahl von Verstecken. Die Schatten waren schwarz wie das Innere eines Tintenfasses.
    »Chris?«, fragte Lisa unsicher. »Kyra?«
    Niemand gab Antwort. Nur die Bäume rauschten leise im Nachtwind.
    Nils trat ans Wohnzimmerfenster und versuchte, einen Blick hineinzuwerfen. »Zu dunkel«, meinte er schließlich.
    »Glaubst du, die sind noch da drinnen?«
    »Keine Ahnung.«
    Lisa trat vor das Gewirr aus Dornenzweigen, das den Eingang versperrte. Vorsichtig streckte sie eine Hand danach aus.
    »Autsch!« Hastig zog sie den Arm zurück und machte zwei Schritte nach hinten. Ein Blutstropfen glänzte auf ihrem Zeigefinger.
    »He, pass auf«, rief Nils und schaute besorgt auf die Wunde. »Was, wenn das Zeug giftig ist?«
    Lisa sah einen Augenblick lang zutiefst erschrocken aus, beruhigte sich dann aber schnell wieder. »Mach mir nur Mut. Vielen Dank!«
    »Ich mein ja nur.«
    »Ich hab die Dornen eigentlich gar nicht angefasst«, sagte Lisa und steckte sich den blutenden Finger in den Mund.
    Als Nils sie verwundert ansah, fügte sie nuschelnd hinzu: »Die Schweige haben sisch bewegt. Schie schind auf misch schugekommen.«
    Nils stöhnte. »Wir müssen die anderen finden. Und wenn ich die Scheibe einschlagen muss.«
    »Tolle Idee. Die Alarmanlage wird losgehen.«
    Lisa schaute sich suchend auf der Terrasse um. Plötzlich entdeckte sie etwas.
    »Schau mal! Da drüben!«
    Sie deutete auf eine Schneise zwischen den Bäumen. Es sah aus, als sei der Einschnitt mit Gewalt durch Äste und Buschwerk getrieben worden, so, als hätte ein Amok laufender Riese das Laub und die Tannenwedel mit bloßen Händen auseinander gerissen.
    Lisa straffte sich und ging voraus, ohne auf Nils’ Reaktion zu warten.
    »He«, rief er ihr gepresst hinterher, »sollten wir nicht erst mal überlegen, ob –«
    Sie unterbrach ihren Bruder, ohne sich umzusehen. »Chris und Kyra sind irgendwo dahinten. Und sie brauchen unsere Hilfe. Das weißt du so gut wie ich.«
    Nils seufzte ergeben und folgte ihr. Noch während sie den Rasen überquerten, holte er auf und ging neben seiner Schwester.
    Der Mond hatte jetzt wieder seine volle Größe. Im Näherkommen konnten sie die Schneise ein wenig besser erkennen.
    Keiner von beiden hatte jemals etwas Vergleichbares gesehen.
    Der Einschnitt war etwa drei Meter breit. Er zog sich durch die gesamte Baumgruppe, ein langer Korridor inmitten des Geästs. Zu beiden Seiten wuchsen Mauern aus Dornenzweigen empor, die die Zweige und Baumkronen hinter sich zurückdrängten. Das wild wuchernde Gestrüpp voller Dornen, scharf wie Rasiermesser, wirkte feindselig und bedrohlich. Es kostete einige Überwindung, dazwischen hindurchzugehen.
    »Wo kommt das Zeug her?«, fragte Nils kleinlaut. Er schien zu befürchten, die gefährlichen Dornenwände rechts und links von

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