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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Winter
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du mich?«, flüsterte Zhou, doch da war die Verbindung bereits unterbrochen.
7
    Als sie die Fraport Arena betraten, lief gerade das erste Halbfinale, und der Lärmpegel war so hoch wie bei einem Länderspiel, auch wenn nur ein Bruchteil der Tribünenplätze besetzt war. Sie hatten beschlossen, sich zu trennen, um im Gewühl der Schüler nicht noch mehr aufzufallen.
    Decker und ein weiterer Kollege, Steven Bost, mischten sich dezent unter eine Gruppe von Lehrern, die gerade auf demRückweg zu ihren Plätzen waren. Em und Zhou hielten sich zunächst an die Kaffeestation gegenüber der VIP-Tribüne.
    Keiner der vier war verkabelt, zu einer solchen Maßnahme hatte die Zeit nicht gereicht. Also taten sie ihr Bestes, einander nicht aus den Augen zu verlieren.
    »Zur Not müssen wir über Handy kommunizieren«, hatte Em gesagt, was in einer Umgebung wie dieser zum Glück nicht weiter auffiel.
    Überall auf den Rängen hockten Jugendliche und tippten wie wild SMS, chatteten oder posteten Bilder des laufenden Spiels im Internet. Die überwiegende Anzahl von ihnen waren Mädchen, doch viele hatten Freunde oder Klassenkameraden zur Unterstützung mitgebracht. Dazu dröhnte Musik vom Band. Irgendein enervierendes Gedudel ohne Anfang und Ende. Die Beats pochten in Ems Ohren, es roch nach Schweiß, überhitzten Lampen und Gummi.
    Auf dem blau-gelben Spielfeld, in dessen Mitte stolz das Logo der Skyliners prangte, lieferten sich Mädchen in weißen und roten Trikots einen erbitterten Kampf um den Einzug ins Finale. Em schätzte ihr Alter auf ungefähr fünfzehn. Aber sicher war sie nicht. Sie blickte sich nach einem Programm um. Einer Anzeige auf einer der Tafeln. Doch ihre Augen wurden nicht fündig. An der gegenüberliegenden Längsseite des Feldes entdeckte sie den Anschreibetisch mit dem Kampfgericht.
    »Ist er das?«, fragte Zhou, während sie ihr iPhone mit dem Foto von Marlon Westen unauffällig wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ.
    »Sie meinen der Zweite von links?« Em musste fast schreien, damit ihre Partnerin sie verstehen konnte.
    Zhou nickte.
    »Ja, das könnte er sein …«
    Ein fragender Blick. Sollen wir hingehen?
    Em schüttelte den Kopf. Das erregt viel zu viel Aufsehen. Und wir wissen ja gar nicht, wie er reagiert.
    Also warten wir?
    Ja, warten wir.
    »Wir warten«, rief Zhou in ihr Handy.
    Decker sah nicht herüber. Doch er fasste sich an die Stirn zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
    »Wie lange dauert so ein Spiel?«, fragte Zhou.
    »Normalerweise vier Viertel zu je zehn Minuten«, antwortete Em. »Aber soweit ich weiß, ist die Spielzeit hier auf viermal fünf Minuten begrenzt, weil Viertel- und Halbfinals am selben Tag stattfinden.« Ihre Augen klebten an Marlon Westen, der konzentriert auf seine Stoppuhr blickte.
    Im selben Augenblick zerschnitt der Pfiff eines Schiedsrichters die schale Hallenluft.
    Die Mädchen ringsum begannen zu johlen. Einer der Trainer, ein fülliger Sportlehrer im grauen Trainingsanzug, stürmte wütend auf das Spielfeld, und erst jetzt sah Em, dass zwei der Spielerinnen am Boden lagen. Ihre Kameradinnen eilten ihnen zu Hilfe. Gleich darauf stand die Rote wieder. Ihre Kontrahentin hingegen wand sich von Krämpfen geschüttelt auf dem Hallenboden. Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter, doch das Mädchen in Weiß drehte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf weg.
    Unterdessen diskutierten die Trainer beider Mannschaften mit dem ersten der beiden Schiedsrichter. Und auch Marlon Westen mischte sich von seinem Platz am Anschreibetisch aus ein. Em sah, wie er einem Helfer im schwarzen Sportdress etwas ins Ohr flüsterte. Dann setzte er sich wieder hin und schrieb irgendetwas auf einen Zettel, der in einem Klemmbrett steckte. Vielleicht das Spielprotokoll. Em stellte sich seine Augen vor, in denen die Verletzlichkeit dominierte, und automatisch musste sie an Koss’ Antwort denken auf ihre Frage, ob Marius Norén schwul sei.
    »Er ist, was immer er für sein Fortkommen für nötig befindet«, hatte der Polizeipsychologe erklärt. »Und da er zu echten Gefühlen ohnehin nicht fähig ist, spielt es für ihn keine große Rolle, mit wem er schläft.«
    Noréns Emotionen sind gespielt, dachte Em. Vorgetäuscht wie die Identitäten, derer er sich bedient. Je nach Bedarf ist er der potente Jonas. Oder Jakob Endriss, der Erbrechtsspezialist. Er ist Jan Persson, der Junge ohne Facebook-Profil.
    Wie ein Spiegel.
    Und als was, überlegte sie, kommst du heute?
    Kommst du überhaupt?

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