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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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Verkäuferinnen mit ihrem angriffslustigen »Kann ich dir helfen?« und ihren neonbeschienenen Mähnen in Diana-Blond, tigerte zwischen Strasskleidern und Fleecepullis mit erfundenen chinesischen Schriftzeichen vorbei und überwand eine ganze Barrikade aus Levi’s Jeans, die genauso aussahen wie vor siebzig Jahren, aber mit »New Style« tituliert wurden.
    Ich wollte mich in einer neutralen Zone in Sicherheit bringen, zum Beispiel in der Unterwäscheabteilung für ältere Damen mit Miederhöschen, aber dort waren sie auch: Zwei alte Mütterchen, die fleischfarbene Wäschestücke in XXL schwenkten und sich darüber unterhielten, wie es auf der Welt aussehen würde, wenn Sean Connery immer noch den James Bond spielte. Unauffällig schlich ich mich an BH s mit Sternchenmuster vorbei, das offenbar vom gewaltigen Inhalt ablenken sollte, doch eine der beiden Fregatten hatte mich bereits ins Visier genommen: »Ach, entschuldigen Sie, gibt es das noch eine Größe kleiner?«
    »Ich arbeite nicht hier.«
    »Ach, sorry .«
    Während ich mich entfernte, rief sie mich noch einmal: »Und ohne Verstärkung, gibt es das?« In der Zwischenzeit war ich bei der Freizeitkleidung angelangt, aber die rachitische Alte folgte mir immer noch, wie in einem Zombie-Film: »Ach, bitte, excuuuuuse me ?«
    Ihr konnte ich entfliehen, doch da waren noch andere, zu viele, nicht nur alte, sondern auch junge und ganz junge, überall waren Leute. Sie gingen paarweise, lächelten vor sich hin, wühlten in den Klamotten herum, und wenn sie etwas gefunden hatten, drückten sie es mit gefräßiger und gieriger Freude an ihre Brust und bestaunten sich im Spiegel, wie Tiere, die Blut geleckt haben.
    Für mich war nichts da. Alle Klamotten waren zu bunt, zu neu, zu sauber. Die Ausschnitte machten sich lustig über mich, nur die Rocklängen hatten Mitleid mit mir. In der Kabine flehten mich meine mageren Knie an, bloß wieder zu den Hosen zurückzukehren. Trotzdem zwang ich mich dazu, mir eine Jacke aus knallrosa Leder zu kaufen, weil ich mir einredete, vor drei Jahren hätte sie mir gefallen.
    Genau: vor drei Jahren. Damals hatte ich den Schnellbus genommen, um nach Hause zu fahren. Es war schon eine Weile her, dass ich so einen genommen hatte, aber ich erinnerte mich noch, dass man sich bereits eine Station vor seiner Haltestelle schwankend einen Weg durch den Bus bahnen muss. So ein Bus ist wie eine Arche Noah, in dem die Leute nie still sitzen, als würde ihnen die Bewegung des Busses nicht genügen. Sicher, die Leute bewegen sich auch auf der Straße, aber wenn man sieht, wie sie auf so geringem und geschlossenem Raum unterwegs sind, erinnern sie an Insekten, die in einer Schachtel eingesperrt sind: Sie wuseln ohne Sinn und Verstand herum, fast hat es den Anschein, sie würden auch noch an der Decke krabbeln. Sie steigen aufs Oberdeck, um sich die Straße von oben anzusehen, oder sie stehen auf, um ein blondes Mädchen zu begrüßen, das aufgrund irgendeines mysteriösen genetischen Defekts bereits vor dem Eintritt in die Pubertät ihre Professorin in Philosophie der Psychologie geworden ist. Dann drängeln sie sich zum Ausgang vor, wobei sie sich gegenseitig mit Sorry bombardieren, als wäre das ihr Wechselgeld. Zwei Silben, die wie eine abfallende Kadenz und meist in zuckrigstem Ton gesprochen werden, womit jegliches Stoßen und Rempeln gerechtfertigt, ja, annulliert und der Rempelnde praktisch unsichtbar gemacht wird.
    Sorry reicht völlig, und schon kannst du dir erlauben, die Spanierin in der zweiten Sitzreihe ganze zwei Minuten anzustarren, weil sie sich nicht die Augenbrauen zupft, ihr eine Kugel in den Kopf zu jagen, oder, was weiß ich, deine Londoner Kollegin zu bumsen. Du sagst einfach: » Sorry , kann ich dich bumsen?« und dann benutzt du deiner Frau gegenüber das gleiche Wort, wie einen Generalschlüssel, indem du sagst: » Sorry , ich wollte bloß bumsen, und deshalb bin ich jetzt tot, weil ich mit einer anderen bumsen wollte. Tut mir wirklich leid. Sorry. Hast du gehört?«
    Am Hyde Park Corner stieg ich aus. Als ich vor unserem Haus ankam, bettelten mich zwei Jungen in kurzen Ärmeln, die auf dem Boden saßen, um Geld für Whisky an. Eigentlich hätte ich ihnen am liebsten von meinem beschissenen Leben erzählt, damit sie noch mehr Lust bekamen, sich zu besaufen, aber dann beschloss ich, das Ganze mit einem knappen Sorry abzukürzen. Ist doch ein genialer Gedanke, dass man allen Gesprächen mit einem einzigen Zweisilbler aus dem Weg

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