Sieg des Herzens
seit Jahren wieder wie ein Kind, weinte um sich selbst, weinte um sein schmerzhaftes Glück – um die Kunst!
Am Morgen fand der Vater ihn eingeschlafen am Tisch sitzen. Der Kopf lag auf den Pergamenten. Schwach brannte noch die Öllampe. Neugierig trat der Vater auf leisen Sohlen näher und drehte die Funzel aus, deren Licht nicht mehr gebraucht wurde, da es schon Tag war. Dann zog er sachte, damit der Sohn nicht erwachte, unter dessen Kopf das oberste Blatt hervor – den Prolog.
Lange kaute der Vater an diesen Versen, las sie mehrmals, setzte ab, blickte auf den Schlafenden, fuhr wieder fort zu lesen. Lange, beängstigend lange dauerte seine Lektüre. Je näher er dem Ende kam, desto erstaunter wurden seine Augen. Endlich ließ er das Blatt sinken und legte es behutsam auf den Tisch zurück. Er vermied jedes Geräusch.
Und dann geschah etwas Überraschendes: Der Vater strich dem schlafenden Sohn sanft, fast scheu über das Haar. Er hatte die letzte Klippe erstiegen. Lautlos glitt er aus dem Zimmer.
Der Kampf war entschieden.
Die Kunst war Sieger. Im Triumph schwenkte sie unsichtbar den Lorbeer.
Denn die Kunst kommt von Gott.
Und dann brach der Tag an, der dem Leben des jungen Mannes eine neue Richtung gab.
Gott Amor trat auf den Plan.
Das Schicksal hielt also den Jüngling nun für gereift genug, ihn zum Genuß jener Frucht einzuladen, die unfaßbar süß, aber auch genauso bitter sein kann.
Der alte Handelsherr gab in den Räumen seines Hauses aus Anlaß eines großen, gewinnträchtigen geschäftlichen Abschlusses ein rauschendes Fest. Die gesamte reiche Bürgerschaft der Stadt war eingeladen worden und erschien auch.
Die Tische bogen sich, edler Wein funkelte in den Gläsern, kühles Bier schäumte in den Krügen, kostbares Geschmeide unterstrich die Schönheit des einen Teiles der anwesenden Damen und milderte die Häßlichkeit des anderen Teiles.
Der Gastgeber, gutgelaunt, erfreut über den Profit, den seine Geschäfte abwarfen, hatte auch für den jungen Dichter ein paar freundliche Worte übrig, als dieser, nachdem er sich von seinen Pergamenten losgerissen hatte, sich zu ihm gesellte, um als Sohn des Hauses an der Seite des Vaters auch jeden der Gäste mit Handschlag zu begrüßen.
An sich war der Jüngling diesem Trubel, dem vielen Gelächter, dem Tabaksqualm, den Witzen der Herren und dem Klatsch der Damen, dem Gemauschel der Kaufleute, das auch hier anhielt, den Tischreden und Trinksprüchen und überhaupt allem aus ganzem Herzen abgeneigt, aber er überwand sich, nahm an dem Treiben teil und hielt sogarselbst auch eine Tischrede, der es nicht an jugendlichem Schwung und Reichtum des Geistes, über den er ja mehr als alle anderen Anwesenden verfügte, mangelte.
Begeistert wurde geklatscht, fröhliche Zurufe wurden laut, junge Damen dachten nicht mehr nur an das Konto, das mit dem witzigen Redner in Zusammenhang gebracht werden konnte, und ältere bedauerten, nicht später auf die Welt gekommen zu sein.
Der Handelsherr hatte sich plötzlich eines offen erkennbaren Stolzes auf seinen Sohn zu erwehren. Sohn?
Heimlich, in einer Falte seiner Seele regte sich ein väterliches Gefühl, das ihm einst verlorengegangen war und sich nun, nach fast vierzehn Jahren, wieder einstellte: die Liebe zu seinem Sohn.
Er fiel ein in das Beifallklatschen der anderen. Seine Augen glänzten.
Der Sohn war erstaunt. Er ahnte nicht die innere Wandlung seines Vaters. Er schrieb dessen Benehmen einem überreichlichen Genuß des Weines zu, den er zwar nicht hatte beobachten können, der jedoch mit Sicherheit stattgefunden haben mußte. Jedenfalls freute er sich aber der guten Laune des gestrengen Vaters und nickte ihm dankbar zu.
Eingeladen war auch ein Jugendfreund des Handelsherrn, ein ebenso reicher, angesehener Kaufmann in der Stadt wie dieser selbst. Er stand im Ruf einer ganz allgemeinen Brutalität, die nicht nur bei Abwicklung seiner Geschäfte zum Durchbruch kam. So scheute er sich z.B. nicht, auf Kinder, die vor seinem Haus spielten und dabei Lärm verursachten, seinen Hund zu hetzen, eine riesige Dogge, die zum Glück mehr Verstand hatte als er und hinter den flüchtenden Kindern nur herbellte, sie aber nicht biß, obwohl ihr verrückter Herr das ernsthaft von ihr erwartete. Der Eierfrau, die ihm einmal ein angeschlagenes Ei brachte, zerschlug er den ganzen Korb mit hundert Eiern und jagte sie davon. Er war also ein Terrorist reinsten Wassers.
Als gewissen Milderungsgrund mußte man ihm zubilligen, daß
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