Sieg des Herzens
mit ihm anstoßen, dadurch ergab es sich zwangsläufig, daß er viel, viel Wein trank – zuviel!
Und immer wieder tauchten im Gewoge jene leuchtenden Augen auf, die ihn bannten.
Der Alkohol machte ihm Mut. »Ich bin dein«, sagte er beim ersten Tanz kühn zu dem Mädchen.
»Und ich dein.«
Es war nur ein Hauch aus ihrem Munde, aber dem Jüngling dröhnte er im Ohr wie der herrliche, mächtige Chor aller Engel im Himmel.
Leider wurde ihm dann bald übel. Da er über keinerlei Erfahrungen in solchen Situationen verfügte, flüchtete er sich instinktiv zum Vater und fragte ihn unglücklich: »Was soll ich machen? Mir ist schlecht. Kann man dagegen etwas tun?«
Der alte Handelsherr, den schon die Abschlüsse ungezählter Geschäfte zur Trinkfestigkeit erzogen hatten, lachte.
»Steck den Finger in den Hals«, lautete sein prosaischer Rat. »Und dann legst du dich hin.«
»Das kann ich nicht, Vater.«
»Warum nicht?«
»Weil … weil ich hier noch gebraucht werde.«
»Aha«, grinste der Vater. »Etwa von der jungen Dame, mit der ich dich tanzen sah?«
Der Sohn, der sich ertappt fühlte, konnte nur nicken, wobei er errötete. Dies zu vermeiden war ihm unmöglich, und das ärgerte ihn natürlich.
»Vom Tanzen«, fuhr der Vater fort, »würde ich dir allerdings abraten.«
»Warum?«
»Weil du dir dann den Finger gar nicht mehr in den Hals stecken mußt.«
Der Sohn wich einen Schritt zurück.
»Vater! Soll das heißen, daß du glaubst, daß ich …«
Er brach ab. Das Bild, das vor ihm auftauchte und in dessen Mittelpunkt er sich selbst sah, war zu widerlich.
»Es könnte dir passieren«, sagte der Handelsherr ungerührt, »daß du mitten im Menuett …«
»Vater!«
»… kotzen mußt, mein Sohn.«
»Vater!«
»Stell dir dann das Dekollete deiner Partnerin vor, das davon in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.«
Davon wurde dem Jüngling auf der Stelle so übel, daß er es gerade noch schaffte, die Toilette zu erreichen.
Anschließend befand er sich in einer Verfassung, die ihm nur noch eins einflüsterte: sterben.
Der Rat, mit dem ihn der Vater versehen hatte – nämlich sich hinzulegen –, wurde daher automatisch von ihm befolgt. Nur ein Viertelstündchen, dachte er …
Er schlief natürlich ein und erschien nicht wieder. Der Vater entschuldigte ihn bei dem Mädchen, das zwar enttäuscht, aber nicht böse war. Sie hatte Verständnis für solche Vorfälle, die ihr von Gesellschaften im Hause ihres eigenen Vaters bekannt waren.
Seit diesem Tag trafen sich der Dichter und das Mädchen oft. Das mußte aber heimlich geschehen, denn des Mädchens Vater wäre mit einem solchen Flirt, wenn er davon gewußt hätte, ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Daran konnten die zwei jungen Leute nicht den geringsten Zweifel hegen.
Es ist ein Unterschied, einem Jüngling, der ein eigenes Gedicht zum Vortrag bringt, Beifall zu spenden, oder ihn als Schwiegersohn ins Auge fassen zu müssen. Diesen Unterschied hätte ein nüchterner, außerordentlich harter Kaufmann, wie des Mädchens Vater, ganz besonders kraß empfunden. Es empfahl sich also dringend, ihm solche Aufregungen zu ersparen. Nachdem er in seiner allgemein bekannten Brutalität sogar schon auf harmlose, spielende Kinder seine Dogge hetzte, hätte unser junger Dichter mit Sicherheit für sein Leben fürchten müssen.
Indes, der Liebe Macht ist unwiderstehlich. Die zwei jungen Leute trafen sich, wie gesagt, dennoch regelmäßig und flüsterten einander ihre Schwüre ins Ohr.
Es war aber eine eigenartige Liebe, die sie fühlten, keine sogenannte ›normale‹. Sie war nicht – noch nicht – aufgebaut auf Reiz und Sinnlichkeit, sondern abgewandt dem Trieb, Lust zu suchen. Noch lebte ihre Liebe von der seelischen Erkenntnis, zueinanderzugehören, von Gott dazu erwählt zu sein, sich gegenseitig zu ergänzen.
Und wohl ist der Seele, wenn sie sich zur Seele findet; beide schwelgen geistig im Paradies der Sphäre – doch wie lange?
Wie lange kann das Fleisch von diesen Flügen zehren? Wann bricht es, bis zur Grenze des Erträglichen gedämpft, dennoch herrisch hervor mit der Gewalt, die ihm von der Natur gegeben ist? Wann fordert es seinen Sold vom Leben?
Eines Nachmittags war es, die Sonne lachte am Frühlingshimmel, da gingen der Dichter und sein Mädchen Arm in Arm aus der Stadt hinaus, um ihre Herzen im Hauch der sprießenden Natur zu stärken und ihre Seelen der Liebe zu öffnen, die – ungeweckt, doch nun schon geheimnisvoll drängend –
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