Sieg des Herzens
Dichter sich Schwäche. Sein Haupt entglitt den stützenden Händen und schlug auf den Tisch. Haltlos fing er zu weinen an.
Weit in der Ferne schlug eine Turmuhr, dumpf hallten ihre Schläge in die Kammer, wurden untermalt vom Schluchzen eines Mannes, eines Vaters, der voller Schmerz um sein Kind weinte, der sein ganzes Schicksal beweinte, getreten in den Abgrund, verkommen, verachtet, weil eine Welt unreif war für seine Kunst.
Plötzlich trommelte ein Regenschauer an das kleine Fenster, und um das Dach heulte der Wind, rüttelte an den Schiefern, unter denen auf Stroh ein totes Kind und eine Mutter lagen, deren Körper zwar noch lebte, deren Seele jedoch ebenfalls dahingeschieden war.
Kein Ende nehmen wollte in der Dunkelheit das Schluchzen, das Schluchzen eines Genies.
Der Verleger und ein paar Ärzte aber saßen an reichgedeckten Tischen, und der Verleger sagte zu seiner Köchin, die ihm gebratene Täubchen mit Reis zubereitet hatte: »Das nächste Mal Kartoffelkroketten, verstehst du, der ewige Reis hängt mir zum Hals heraus. Ich wollte dir das heute schon sagen.«
»Und warum habt Ihr es vergessen, Herr? War daran etwa jenes heruntergekommen Subjekt schuld, das ich aus Euerm Zimmer kommen sah?«
»Ganz recht. Stell dir vor, der Kerl wollte …« Der Verleger brach ab, winkte mit der Hand und sagte: »Naja, Frechheit stirbt eben nie aus. In Zukunft kommt mir keiner von dieser Sorte mehr über die Schwelle.«
Auf der Landstraße wirbelte Staub auf, gelber, dicker Staub. Dazwischen mahlten eintönig, wie von einer mystischen Riesenfaust im gleichen Takt bewegt, rohe, klobige Wagenräder. Hin und her, wie der Perpendikel einer Uhr, schwankten die Planwagen. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herab.
Da saß er nun im letzten Wagen, er, der Dichter, das von Gott begnadete Genie, der Feuergeist der heiligen Muse. Er drückte sich an die Plane und schluckte mit stierem, leerem Blick den Staub der Straße. Seine Frau hockte neben ihm, zerschlissen war ihr Rock, zerfetzt die Bluse, strähnig, verwahrlost das Haar, in dessen blonden Locken einst die Blüte des Frühlings sich lebensfroher entfaltet hatte als im Schoß der mütterlichen Erde. Statt Lebensfreude schaute ihr – und natürlich auch ihm, dem Dichter – der Hunger aus den Augen.
Komödianten, ausgestoßener, verachteter Abschaum der Gesellschaft, Zigeuner der Landstraße, fahrendes Volk, Hungerkünstler. Genies des Possenreißens.
Sie sanken, sanken der Sonne gleich, die eben glühte und sich Stunden später verhüllte im Schleier bleierner Schwärze; sie sanken, fielen, taumelten empor und stürzten wieder.
Was war ein Abgrund? Eine Schlucht?
Sie lachten, warfen sich hinein, doch sie zerschellten nicht. Noch glomm ein Funke unter der Asche, noch war ihre gegenseitige Liebe nicht erkaltet.
Die Kolonne hielt an. Ein Bach säumte die Straße und bot Gelegenheit, die elenden Pferde, die noch magerer waren als ihre Besitzer, zu tränken.
Weit lehnte der Dichter sich zurück, und der Arm seiner Gefährtin stützte ihn, damit er nicht in das trockene, von Ungeziefer wimmelnde Stroh sank.
»Staub, wirbelnder Nebel der Straße, folgst du mir?« flüsterte sein blasser Mund und lächelte doch dabei in wissendem Schmerz um die Wahrheit. »Folgst du mir als ein Schatten, als ein gelber, mystischer Schleier für ziehende Komödianten? Krönst du den Dichter der Straße mit Bändern und samtenen Tüchern, ihn, über dessen Possen das Volk lacht und den es mit armseligen Kreuzern entlohnt? Hier fährt ein Genie, ein von Gott begnadeter Mensch. Wirble, Staub, wirble! Pappeln am Wege, was steht ihr und glotzt? Neigt euer hohes Haupt vor den grauen Planen der Wagen … hier fährt die Kunst.«
Und er schloß die Augen, doch die zusammengepreßten Lider hemmten die Tränen nicht, die von den Wimpern hinunter zu den Mundwinkeln rollten.
Die Gefährtin küßte die Zähren fort, streichelte zart das knochige Antlitz und sagte schlicht: »Ich liebe dich.«
Da fand er den Mut und hob den Blick zu ihr empor und sah in eine Seele liebenden Leides. Klein, erbärmlich klein kam er sich in diesem Augenblick vor und schämte sich seiner Tränen, die doch letzte Funken des menschlichen Aufbäumens gegen die Unerbittlichkeit des Schicksals waren.
Dann wurde wieder weitergefahren. Der Nachmittag verging, der Abend senkte sich hernieder auf Straße und Bäume, auf Roß und Wagen. Blaß begann der Mond seine Wanderung am Himmel. Eine Drossel schlug im Gebüsch, und
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