Sieg des Herzens
Angebot ist.«
Der Dichter fiel vor ihm auf die Knie.
»Ich habe doch nur zwei!«
»Dann besorgt Euch einen dritten und kommt wieder.«
»Von wem denn?«
»Woher soll ich das wissen? Ich kenne die Leute nicht, bei denen Ihr eventuell Kredit habt.«
Nun steckte der Arzt die Pfeife an und entlockte ihr dichte Rauchwolken. Endlich begriff der Dichter, daß hier Hopfen und Malz verloren war.
Er sprang auf. Er mußte sich an den Tisch klammern, um sich nicht auf dieses Tier in Menschengestalt zu stürzen.
»Mörder!« schrie er. »Mörder!«
Dann stürmte er aus dem Zimmer. Paffend sah ihm der Arzt nach und hatte ihn schon wenige Sekunden darauf vergessen. Ähnliches erlebte er zu oft.
Und wieder rannte der Dichter durch die Straßen, läutete bei zwei weiteren Ärzten, die ihm die gleiche Abfuhr erteilten wie der erste. In jenen Zeiten herrschte in den Kirchen ein Betrieb in Schichten, den wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Damals wurde unaufhörlich von der Barmherzigkeit Gottes und der Menschen gepredigt – aber geübt wurde sie nicht!
Zuletzt ging der Dichter, ohne sich viel davon zu versprechen, zu seinem Verleger. Und richtig, er wurde auch unfreundlich empfangen mit einem knappen: »Ihr?!«
»Darf ich hereinkommen?« fragte der Dichter, um nicht gleich an der Tür wieder abgefertigt zu, werden.
»Bitte«, sagte der Verleger notgedrungen und ging voraus. Drinnen knurrte er: »Um was geht's?«
»Ich brauche Eure Hilfe.«
Das habe ich mir gedacht, sagte sich der Verleger im stillen. Die wollen immer meine Hilfe. Und ›Hilfe‹ heißt ›Vorschuß‹. Kommt nicht in Frage.
»Mein Kind stirbt«, setzte der Dichter hinzu, als der Verleger mit verschlossenem Gesicht schwieg.
»Da seid Ihr bei mir an der falschen Adresse. Ich bin, wie Ihr sehr gut wißt, kein Arzt.«
»Natürlich weiß ich das. Ich war auch schon bei drei Ärzten, aber jeder wollte sofort Geld sehen.«
»Verständlich.«
»Und ich habe keines, beziehungsweise nicht genug.«
»Ich auch nicht, falls Ihr darauf abzielt.«
»Ich brauchte nur ein paar Taler.«
»Nicht einen einzigen kann ich Euch geben. Ihr habt keine Ahnung, wie's in meiner Kasse aussieht.«
»Ich schreibe Ihnen ein neues Werk.«
»Ich sitze noch auf Ihrem alten. Niemand kauft es, niemand will es lesen. Alle sind nur interessiert an französischen Geschichten voller Reiz und Erotik, versteht Ihr, an Pikanterien, nicht an Euren Trauerversen.«
»Dann stelle ich mich um. Ich verspreche es Euch.«
»Dazu seid Ihr nicht in der Lage, dessen bin ich sicher. Das muß man gewissermaßen im Blut haben. Die Franzosen haben es.«
»Aber ich brauche nur ein paar Taler!« schrie der Dichter verzweifelt.
»Nicht einen kann ich Euch geben«, wiederholte der Verleger unbarmherzig.
Der Dichter war mit seiner Kraft am Ende. Stumm starrte er den Verleger an. Erst nach einer Weile sagte er mit tonloser Stimme: »Ihr seid alle Mörder.«
Dann drehte er sich um und verließ – ein gebrochener Mann – mit hängenden Schultern das Haus.
Durch die Straßen lief er mit finsterer Miene, voll des Hasses der Seele gegen alles Menschliche. Er lief am Treiben auf dem Markte vorüber, am bunten Leben in den Geschäften, sah das Lachen, Schmunzeln wohlgenährter Bürger, die Zufriedenheit, das Glück, den Schein der aufgeputzten Welt, blickte in Gesichter ohne Seele, die abgestumpft waren durch die Gewohnheiten des Alltags, er hörte die lächerlichen Phrasen von Milde, Güte, Menschlichkeit, Aufopferung, Gleichheit, Brüderlichkeit – und dort, in einer Bodenkammer, in einem kalten Verschlag unter dem Dach, dort starb sein Kind, gemordet durch die Gier der Menschen.
Menschen?
Nein – entseelte Fratzen!
Ihr Mörder, dachte er unentwegt, ihr alle, alle, die ihr atmet, steht und geht, sitzt und liegt, eßt und trinkt, ihr, die ihr euch der Schöpfung Krone nennt und denkt, über die Natur erhaben zu sein, was seid ihr, wenn man euch die Masken von den Gesichtern reißt? Nichts als Mörder! Mörder! Mörder! Mörder!
Und ich selbst? Was bin ich? Dasselbe!
Alle sind gleich, ohne Ausnahme. Jeder schleppt seine Schuld mit sich herum, der eine offen, der andere im geheimen.
Habe ich nicht meinen eigenen Vater auf dem Gewissen? Brach ihm nicht das Herz im Zorn über mich?
Und jener arme, alte Mann, der Gärtner, warum mußt' er sterben? Brachte nicht ich einen grauenvollen Tod über ihn?
Zweimal also war ich schon der Mittler des Todes.
Und nun?
Nun bin ich's zum dritten
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