Sieh mich an, Al Sony
Diskussion kam knirschend zum Stehen. Er seufzte müde, und ich streckte hastig die Hand aus und drückte in augenblicklicher Reue seinen mächtigen, schinkenförmigen Arm. Es war nicht seine Schuld, und er hatte recht: Was hätte es für einen Unterschied gemacht?
»Daß die Chips verschwunden sind, das war es, was die Sache vermasselt hat. Solange sie wußten, wo sie waren, war alles in Ordnung. Kuthy würde einfach hineinspazieren und sie nehmen. Als sie verschwunden waren, war jeder verdächtig. Ich war nicht der einzige, der Ihre Wohnung angezapft hatte, und Ihre war auch nicht die einzige Wohnung. Ich konnte nur meine Arbeit tun, darüber hinaus war nichts zu machen. Sie waren näher dran; ich dachte, Sie hätten vielleicht etwas herausgefunden«, sagte er.
»Sie haben ihn beobachtet, als er das Restaurant verließ?«
»Ja, und ich wollte ihm folgen...« Er öffnete seine Wagentür und kam außen herum, um die meine aufzuhalten und mir beim Aussteigen zu helfen. »... aber dann bekam ich ja einen Anruf, nicht wahr?«
Wir warteten zusammen mit zwei uniformierten Polizisten vor dem Zimmer, während Shinichros Gesicht zusammengenäht wurde.
Er hatte eine Menge Blut verloren, sagten sie, aber Robert erwiderte, er müsse dennoch mit ihm reden. Außerdem war er ranghöher als die beiden. Ich selbst sah keinen Sinn mehr darin. Pal Kuthy war wahrscheinlich schon in Heathrow. Er dürfte für den Weg dorthin genauso lange gebraucht haben wie wir, um die zwei Meilen durch die Stadt zurückzulegen, wenn er schlau gewesen war und die U-Bahn genommen hatte. Mir fiel ein, daß ich Hanae anrufen sollte, aber ich wollte ihr nichts erklären. Sie würde noch früh genug alles erfahren.
Shinichros linkes Auge lugte geschwollen unter dem dicken Verbandmull hervor, der das halbe Gesicht verhüllte und den Kopf wie ein Polster umgab. Er lag flach auf dem fahrbaren Bett; das blutig weiße Hemd war aufgerissen, die glatte, unbehaarte Brust entblößt. Das Kinn war in einem unnatürlichen, unbequemen Winkel hochgebogen. Die Krankenschwester hatte ihn vollständig säubern wollen, aber er hatte sich gewehrt. Er wollte mit uns sprechen. Er habe immer wieder nach uns gefragt, berichtete die Schwester. Ich beugte mich über ihn, und als ich ihm meine Hand auf die Brust legte, griff er danach und drückte sie.
»Es war unvernünftig von dir, so tapfer zu sein«, flüsterte ich ihm zu.
»Du warst unvernünftig, so unvernünftig, wie eine Gaijin nur sein könnte, und wie keine Frau, die ich je gekannt habe«, antwortete er. Es war jetzt wirklich schwer, ihn zu verstehen, aber ich verstand, worauf er hinauswollte. Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, ihm zu erklären, wieso ich mit Pal gekommen war. Er hatte so oder so recht. Ich war unvernünftig. Ich hätte ihn im Rock Garden sitzen und in sein Bier weinen lassen sollen.
Er grunzte etwas, aber es war kaum zu verstehen; sein Mund war betäubt und unbeweglich. Wut und Frustration zeigten sich in seinem Blick und an der Art, wie er meine Hand festhielt. Ich hielt das Ohr dichter vor seinen Mund.
»Meine Tasche? Ich habe sie. Wieso? Jackett?«
»Jackett.«
»Jackett«, sagte ich zu Robert. »In seinem Jackett.«
Shinichros Jackett war nicht da. Es lag im Restaurant auf dem Boden.
»Wir holen dein Jackett«, sagte ich.
Shinichro preßte die Augen fest zusammen und riß sie dann weit auf. Sie glänzten vor Anstrengung.
»Ich mußte Testchip geben«, sagte er.
»Warum?«
»Virus.«
Shinichro hatte Mühe mit der Sprache. Er hatte Schmerzen, und das Englisch fiel ihm schwer.
»Virus«, wiederholte er atemlos.
»Was heißt das?« fragte Robert.
»Virus? Computervirus?« interpretierte ich unsicher, aber Roberts breites Gesicht strahlte plötzlich wie die Sonne.
»Jetzt haben wir das Schwein«, sagte er. Ich schaute Shinichro an. Ein kleiner Triumph hätte ihm den Schmerz erleichtert. Aber da war keiner.
»Das glaube ich nicht«, antwortete ich.
Wir riefen im Restaurant an, und der Geschäftsführer sagte, sie hätten das Jackett. Ich sah den Sinn nicht, aber Robert wollte den Chip, den Shinichro nicht mehr an Pal hatte weitergeben können. Er wollte etwas in der Hand haben, wenn er dem Zoll oder sonst jemanden, der ihm zuhörte, erklärte, daß Kuthy zu Vernehmungszwecken festgehalten werden solle, weil er vermute, daß der Mann viertausend Eproms in seinem Besitz habe, allesamt mit einem Computervirus infiziert. Computerviren lagen in seinem Zuständigkeitsbereich. Sie
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