Sieh mich an, Al Sony
konnten es ihm nicht verweigern. Damit würden wir Zeit schinden, meinte er. Aber Zeit für was? Eine Erklärung, eine halbe, das war alles, was wir bekommen würden, bevor sie Pal wieder von der Leine ließen. Ich schaute Robert ins Gesicht. Er schindete nicht einfach Zeit. Er tat seinen Job.
»Ich bleibe hier«, sagte ich.
Robert nickte und wandte sich zum Gehen, aber ich rief: »Wozu die Umstände? Er wird in Rio sein, oder Gott weiß wo, bevor Sie etwas tun können.«
»Ich habe den Zoll angerufen, als Sie mich darum baten. Sie werden ihn überprüfen — das zumindest. Sie sagten, sie hätten ohnehin bereits einen Anruf wegen der Chips bekommen. Chips, die vermutlich gestohlen waren. Eine Frau hätte die Polizei angerufen und daraufbestanden, daß sie Kontakt mit...«
»Debbie.«
Welch ein Mädchen.
»Was ist mit den beiden draußen vor der Tür?«
»Ich sag’s ihnen.«
Als er hinausgehen wollte, begann eine Auseinandersetzung. Shinichro wollte der Schwester nicht erlauben, ihm das Hemd auszuziehen. Er wolle nach Hause, sagte er, und ich würde ihn mitnehmen, mit dem Polizisten. Robert sah mich an und schüttelte den Kopf.
»Du mußt hierbleiben«, sagte ich.
»Nein.«
Shinichro blieb unerbittlich gegen die strengen Vorhaltungen der Krankenschwester, die ihm erklärte, daß man ihn mindestens für die Nacht zur Beobachtung dabehalten wolle. Der Mann weigerte sich hartnäckig. Er schwang die Beine vom Bett, zog das schmutzige Hemd zusammen und knöpfte es mit entschlossenen Fingern zu. Ich legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Du kannst jetzt überhaupt nichts tun«, sagte ich.
»Binde mir die Schuhe zu. Schnell.«
Während ich auf den Knien lag, rief die Schwester den Arzt an.
»Shinichro. Bitte. Du kannst nicht. Der Schnitt ist zu schlimm. Leg dich hin. Du brauchst nicht zu gehen«, sagte ich.
»Nein.«
Er war auf den Beinen, schwankend erst, aber dann sicher, und der blasse, junge indische Arzt, der erschien, konnte mir nur noch ein paar Schmerztabletten in die Hand drücken.
»Mr. Saito geht mit Ihnen?« erkundigte er sich. Er war darüber sichtlich nicht beruhigt.
»Ja. Und mit Detective Inspektor Robert Falk.«
Der Arzt sah den großen Polizisten mit der stahlgeränderten Brille an, der in der Tür stand. »Zivilbeamter, Sir?«
Der vielsagende Tonfall seiner Bemerkung veran-laßte mich, Robert zum erstenmal zu mustern. Bis dahin hatte ich ihn noch nie im Jogginganzug gesehen, sondern immer nur im Hemd; ich konnte mich nicht erinnern, daß er je etwas anderes getragen hatte. Wenn er mich ausführte — immer ein Hemd, manchmal kariert, wenn er den Anlaß als informell betrachtete, und mindestens einen Blazer. Noch nie hatte ich ihn in einem flaschengrünen Fred-Perry-Sweatshirt gesehen, Größe XL, in einer nicht dazu passenden orangefarbenen Jogginghose und pflaumenblauen Schlafzimmerpantoffeln. Es war, als hätte ich ihn im Pyjama erwischt; ja, ich glaube, es war sein Pyjama, und ich glaube, daß er sich seit Tagen nicht rasiert hatte. Sein Gesicht unter der aschblonden Stoppelschicht lief rot an, als er sah, wie ich ihn anschaute; zugleich hielt er dem Arzt seinen Ausweis entgegen, der ihn pflichtbewußt studierte und die Achseln zuckte. Er könne nur abraten, sagte er, aber Shinichro hörte nicht auf ihn; er marschierte bereits zur Tür hinaus.
Auf dem Vordersitz war nicht genug Platz für uns alle, und so erbot ich mich freiwillig, hinten zu sitzen.
»Hinten ist ein Bett, wie Sie sehen«, sagte Robert und öffnete die Tür weit. Ich starrte auf die wüst durcheinandergewürfelten Kaffeebecher auf dem Boden und auf die Batterien von Beobachtungsgerätschaften auf beiden Seiten. Dann sah ich ihn an.
»Vierundzwanzig Stunden täglich im Einsatz?« sagte ich. »Haben Sie es denn nie abgeschaltet, Mann? Sich mal ’ne Pause gegönnt?«
Die letzten Worte sprach ich zu seinem schwerfälligen breiten Rücken, denn er ging zur Fahrerseite hinüber. Ich schaute zu Shinichro, und der starrte mich mit einem dunklen, vorwurfsvollen Auge an.
»Steig ein und erzähl mir von diesem Chip«, sagte ich.
Ich hockte zwischen leeren Styroporbechern und Mc-Donald’s-Schachteln und hörte zu, als Shinichro mit zusammengebissenen Zähnen berichtete, was er getan hatte. Er lag unbequem auf Roberts durchhängendem Feldbett und schwitzte heftig. Er hatte sich alle Chips angesehen, die er Debbie abgenommen hatte, und sofort erkannt, daß es keine Drams waren. Er hatte dann zwanzig Minuten
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