Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
nur zehn Euro!«
»Ist das nicht beleidigend?«, frage ich Daniela.
» Perchè? «
»Na ja, wenn er in Australien ›Hausfrauen‹ rufen würde, könnte er keine Besen verkaufen.«
Uns trennen Welten.
» Materassi! Materassi! Wir haben die Qualität, die Sie von einer Einzel- oder Doppelmatratze erwarten!« Aber heute Vormittag erwartet das niemand. Ohne Kunden erreicht der Laster schnell das Ende der Straße. Dort sieht sich der Fahrer gezwungen, den Rückwärtsgang einzulegen, weil seine hoch aufgetürmte Ware einen Balkon einzureißen droht. Darauf steht eine wütende Frau, die mit einem Besen nach dem Laster schlägt, der vielleicht selbst einmal ein einzigartiges Sonderangebot war. Eine Szene wie aus einem Fellini-Film, und trotzdem ist meine Belustigung für Daniela das einzig Neue an diesem für sie vollkommen alltäglichen Morgen.
Wie bei einer Parade kommt ein Händler nach dem anderen vorbei. Hosen, Schuhe, Wasser, Wein. Das Einzige, das man nicht von zu Hause aus kaufen kann, ist die Zeitung. Aber wir befinden uns im Sommerloch, und da gibt es sowieso nicht viel zu lesen. Und wenn Italiener schuften, dann nur, um das Leben zu genießen.
Zwischen zehn und zwei kehrt wieder Ruhe ein in Andrano. Eine erbarmungslose Sonne steht hoch am Himmel, und die Bewohner fliehen ans Meer. Daniela schlägt vor, dasselbe zu tun, obwohl ich lieber das Dorfleben beobachten würde. Auch wenn mir das in diesem Moment noch nicht klar ist, ist dieser erste Tag in ihrem Dorf mit das schönste Geschenk, das mir Daniela jemals machen wird. Die geduldigen Ausführungen meiner Reiseleiterin, Geliebten und Dolmetscherin lösen eine Liebe aus, die weit über uns beide hinausgeht. Ich empfinde eine unerwartete Zuneigung für Andrano, für die Zeremonien der Einheimischen und Rituale eines Alltags, der dem Takt der campana folgt. Ihr unaufhörliches Läuten ist eine ironische Mahnung, dass die Zeit verstreicht, auch wenn sie stehen geblieben zu sein scheint.
Während ich über die Dächer schaue, habe ich das Gefühl, der heutige Tag hätte vor zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren ganz genauso ablaufen können. Und wenn man sich die Fernsehantennen und den Verkehr wegdenkt, vielleicht sogar vor hundert Jahren.
Daniela schaltet in den Leerlauf, und wir rollen den Hügel zum Hafen hinunter. Wie eine Schlange windet sich die Straße durch jahrhundertealte Olivenhaine. Die knorrigen Äste der Bäume scheinen zu gespenstischen Posen erstarrt zu sein. »Als ich noch ein Kind war«, erzählt Daniela, »dachte ich, dass die Olivenbäume ihre Gestalt ändern, sobald ich ihnen den Rücken zukehre.« Olivenbäume sind das Wahrzeichen Salentos. Davon gibt es in ganz Apulien, also auf dem italienischen Stiefelabsatz, über zehn Millionen, die 60 Prozent des italienischen Olivenöls liefern.
»Sie sind wunderschön«, sage ich.
»Sie sind Überlebende«, erwidert Daniela.
Wir kommen an mehreren Reihen von Strandhäusern vorbei, bevor wir am Porto d’Andrano sind – einem Badeplatz für Braungebrannte. Er besteht aus spitzen Felsen, die es nicht gerade gut mit nackten Füßen meinen. Sand gibt es hier nicht, nur zerklüftete Höhlen und aufregende Grotten. Planschen kommt nicht infrage. Man springt direkt in das kristallklare tiefe Blau, das glitzernd gegen die Fischerboote schlägt, zwischen denen wir uns tummeln. Jedes ächzend an seinen Tauen zerrende Schiff stellt eine schlaffe, von Sonne, Wind und Wetter ausgeblichene italienische Flagge zur Schau.
Da ich an den Stränden nördlich von Sydney aufgewachsen bin, fühle ich mich in dem tiefen Wasser wie zu Hause und gewöhne mich schnell an die Gefahren meiner neuen Umgebung, die hauptsächlich darin bestehen, hinein- und hinauszugelangen, ohne sich die Füße aufzuschlitzen oder sich an einem unter der Wasseroberfläche verborgenen Felsen das Rückgrat zu brechen. Aber mein Selbstvertrauen erhält einen jähen Dämpfer, als ich in die spitzen, sechs Zentimeter langen Stacheln eines riccio , eines Seeigels, trete und mein Schrei über den gut besuchten Strand hallt.
Einheimische starren den verlegenen Fremden an.
»Deshalb schwimmen hier alle mit Plastiksandalen«, sage ich stöhnend zu Daniela.
» Si, amore .«
Sie hat mir zwar noch nicht gesagt, dass sie mich liebt, nennt mich aber »mein Liebster«. Das tut gut … und fühlt sich auf jeden Fall besser an als mein schmerzender Fuß.
Danielas Auto tritt den steilen Rückweg deutlich langsamer an, und als wir endlich oben sind,
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