Silberband 045 - Menschheit am Abgrund
Stolz sah es die Silhouette der Stadt Trade City, einer Stadt, die von Tag zu Tag größer wurde. Die Turmbauten reckten sich gleich Riesenfingern aus Metall, Plastik und Glassit in den Himmel, Monumente menschlicher Stärke und Schwäche.
Das Plasma-Bewußtsein vereinigte sich wieder mit dem Positronik-Bewußtsein. Der Gleiter jagte mit vierhundertsechzig Stundenkilometern dahin. Niemand überholte ihn. Aber im Grunde genommen konnte das auch niemand, denn Argyris' Gleiter war ständig positronisch gesteuert und daher den Selbstlenkern naturgemäß hoch überlegen.
Anson verzögerte, als in wenigen Kilometern Entfernung die erleuchteten Rohrmündungen des Varuzzi-Tunnels auftauchten. Die Verkehrsströme erzeugten an diesen Ein- und Ausfahrten unablässig starke Turbulenzen, die sich in einem Donnern und Tosen wie von einer starken Brandung äußerten.
Argyris' Gleiter wurde von einer imaginären Faust kräftig durchgeschüttelt, als er in die Luftwirbel stieß. Dann war er hindurch. Fünf Minuten lang schoß er durch den Tunnel, verließ ihn wieder und lenkte den Gleiter nach rechts. Er kam zu einer kaum befahrenen Abzweigung und wieder in ein Tunnelsystem hinein.
Plötzlich leuchtete die Ruflampe des Telekoms.
Anson Argyris runzelte die Stirn, drückte die Aktivierungstaste und sagte vorsichtig:
»Ja …?«
Deightons Identifizierungsmuster erschien auf dem Bildschirm. Seine Stimme ertönte:
»Hier spricht Gal. Habe Nachricht erhalten, daß Dabrifa tausend Kampfschiffe hierher schicken will. Rechne mit Intervention.«
»Na und?« gab Argyris unwillig zurück. »In dem Fall soll Amant die Flotte rufen.« Amant war sein Sekretär. »Weshalb rufst du mich wirklich an, Gal?«
Galbraith Deighton lachte leise.
»Um dich zu überreden, den Märtyrer zu spielen. Wenn du ›dort‹ alles kurz und klein schlägst, würde Dabrifa in der ganzen Galaxis ein großes Geschrei anstimmen und erhielte einen Vorwand für die geplante Intervention. Es muß also so aussehen, als wärst du das Opfer und nicht der Sieger.«
»Fein hast du dir das ausgedacht!« sagte Argyris. »Ich soll mich in Stücke schneiden lassen und anschließend um Hilfe schreiend über die Straße laufen. Was wird dann aus meinem Image?«
»Wie ich dich kenne, wirst du das Opfer schon so spielen, daß dein Image eher noch verbessert wird. Und nun Schluß. Soeben trifft eine Meldung von meinem Chef ein.«
Anson Argyris schaltete den Telekom aus. Er dachte einige Zeit nach, dann schüttelte er lachend den Kopf. Er wußte jetzt, wie er vorgehen würde, um die Agenten in der Dabrifa-Botschaft auch öffentlich als brutale Gangster hinzustellen.
Offenbar hatte sich nun Perry Rhodan in die Planung der Aktion eingeschaltet, denn Galbraith Deighton kannte nur einen einzigen Chef: den Großadministrator selbst, als dessen Stellvertreter er normalerweise im Solsystem fungierte.
Argyris vermutete, daß Rhodan einen viel umfassenderen Schachzug gegen den Diktator Dabrifa eingeleitet hatte, als sie alle bisher ahnten. Das erhöhte selbstverständlich den Grad seiner, Argyris', Verantwortung.
Er konzentrierte sich wieder stärker auf die Strecke. In wenigen Minuten mußte er die Stelle erreichen, an der die Dabrifa-Agenten den Überfall und den Austausch vorgesehen hatten.
Die Stelle war ein alter Gleitertunnel, der noch aus der Zeit stammte, als Trade City noch nicht existierte. Damals hatte es hier eine Forschungsstation gegeben. Die Station war ausgeschlachtet und unbrauchbar. Ihr ehemaliger Unterführungstunnel wurde nicht mehr benutzt, weil die neuen Verkehrsverbindungen besser waren. Man schrieb es einer romantischen Ader Argyris' zu, daß er täglich zweimal durch den alten unbeleuchteten Tunnel fuhr. Nur er selber und Deighton wußten, weshalb er das wirklich tat. Es war direkt ein Witz, daß seine Entführer ihm ahnungslos in unmittelbarer Nähe des dritten Geheimnisses der solaren Menschheit auflauerten.
Anson Argyris schaltete die starken Scheinwerfer des Gleiters ein, als er in die unbeleuchtete Tunnelstrecke abbog. Er lächelte ironisch. Mitten auf der Strecke lag ein umgestürzter Luxusgleiter. Die transparente Kanzel gab den Blick auf eine junge Dame frei, die bewußtlos in den Sesselgurten hing. Es wirkte alles sehr echt. Ein junges neugieriges Ding, das in den Seitentunnel abgebogen war und vergessen hatte, die Scheinwerfer ihres Gleiters anzuschalten. Von einem Augenblick zum anderen aus der Helligkeit in völliges Dunkel geraten, verlor sie
Weitere Kostenlose Bücher