Silberband 071 - Das Erbe der Yulocs
können wieder aufstehen«, sagte der Techniker.
Gehorsam erhob sich der Verurteilte. Der Maskentechniker musterte ihn nachdenklich.
»Sie haben noch etwas Zeit, bis ich alle Vorbereitungen getroffen habe«, erklärte er. »Ich würde Ihnen empfehlen, eine gute Mahlzeit zu sich zu nehmen. Nach der Behandlung steht Ihnen zwar noch eine Mahlzeit zu, aber vorher ist der Appetit erfahrungsgemäß größer – und Sie werden Kraftreserven brauchen.«
Kanykosch nickte, sagte aber nichts.
Die Augen des Maskentechnikers blickten ihn gütig an. »Sie sind aufgeregt; das ist nur natürlich. Nennen Sie mir Ihr Lieblingsgericht. Wenn es vor Ihnen steht, wird der Appetit sich schon einstellen.«
Der Verurteilte sagte, welches Gericht er am liebsten aß – oder zumindest gegessen hatte, als er noch kein Gefangener gewesen war. Zu seinem Erstaunen lehnte der Techniker die Erfüllung seines Wunsches nicht ab, obwohl es sich um ein exklusives Menü handelte.
Kanykosch wurde in einen Aufenthaltsraum geführt. Seine Bewacher stellten sich neben der Tür auf. Eine halbe Stunde später trat ein Diener ein und ging zu dem Versorgungsautomaten, der die eine Wand des Aufenthaltsraums einnahm. Er entnahm dem Automaten eine Plastikmatte und legte sie über den Tisch, dann trug er in den richtigen Abständen die einzelnen Gänge des Menüs auf.
Kanykosch erkannte, daß der Maskentechniker recht gehabt hatte. Der Appetit stellte sich ein, als das Essen vor ihm stand und nicht nur sein Auge ansprach, sondern auch seinen Geruchssinn. Er aß mit Appetit.
Als er satt war und der Diener abgeräumt hatte, stellte sich freilich ein anderes Gefühl ein. Kanykosch wurde sich klar darüber, daß der Erste Maskentechniker ihm den Luxus eines exklusiven Menüs nicht aus persönlicher Zuneigung hatte zukommen lassen, sondern weil er ihm kurz vor dem Tod eine Gnade erweisen wollte.
Mit dieser Erkenntnis kehrte die Furcht zurück. Aber der Maskentechniker ließ ihm keine Zeit, seine Furcht zur Panik zu steigern. Er ließ ihn in den Raum führen, in dem die Behandlung erfolgen sollte.
Abermals sah Kanykosch zahlreiche blitzende Apparaturen. Doch sie erweckten keine Furcht mehr in ihm. Widerstandslos ließ er die Behandlung über sich ergehen. Ihr folgten zwei Stunden Tiefschlaf, von denen er jedoch nichts merkte. Er merkte auch nichts davon, daß er während des Tiefschlafs mechano-hypnotisch konditioniert wurde. Als er erwachte, sah er nicht nur so aus wie der echte Hactschyten, er hielt sich auch für den verbrecherischen Yaanztroner Hactschyten.
Die Erinnerung an seine eigene Persönlichkeit war zwar nicht gelöscht, aber wirksam überlagert worden. Außerdem glaubte er, von sich aus den Plan gefaßt zu haben, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu fliehen.
Kanykosch erwachte in seiner Zelle. Er blickte auf den Datums- und Zeitschreiber über der Zellentür und wußte plötzlich, daß der Tag angebrochen war, an dem er fliehen wollte. Den Plan dazu hatte er sich seit langem genau zurechtgelegt – so glaubte er jedenfalls.
Der Raytscha und der Mato Pravt hatten ihn getäuscht und betrogen, indem sie ihm vorgaben, sie wollten ihn nur zu seiner eigenen Sicherheit in Schutzhaft nehmen. In Wirklichkeit war ihr Plan, ihn ermorden zu lassen, da sie nicht genügend Beweise gegen ihn besaßen, um ihn von einem ordentlichen Gericht aburteilen zu lassen.
Alle diese verankerten Pseudoerinnerungen dienten dem Zweck, Kanykosch scheinbar aus eigenem Antrieb fliehen zu lassen und, für den Fall, daß Unbefugte ihn in ihre Gewalt brachten, sie glauben zu machen, sie hätten es mit dem echten Hactschyten zu tun.
Als die elektronische Verriegelung der Zellentür sich löste und die Tür in die Wand glitt, erhob sich Kanykosch von dem Pneumobett, auf dem er angekleidet geschlafen hatte.
Draußen warteten zwei Gardesoldaten Heltamoschs wie üblich. Und wie üblich grüßten sie, als er zwischen ihnen hindurchschritt, als wäre er kein Gefangener, sondern ein Ehrengast des Raytschas und seines Nachfolgers.
Einmal pro Dekade wurde Kanykosch ein Spaziergang im Palastgarten erlaubt. Heute war dieser Tag, und bei dieser Gelegenheit wollte er fliehen.
Er hatte beobachtet, daß tagsüber die Ablaufgitter des Kanals angehoben waren. Der Kanal war drei Meter tief, vier Meter breit und führte durch den Palastgarten. Er bekam sein Wasser aus einem großen Trinkwasserreservoir und floß nach Durchquerung des Palastgartens in ein unterirdisches Kanalsystem ab,
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