Silberband 108 - Grenze im Nichts
Meine Erinnerung an die Vergangenheit ist leider getrübt, ich kann nicht mehr genau sagen, woher ich komme. Von dem Ort, an dem die Burg entstanden ist, wurde sie in diesen Sektor gebracht, der mir fremd ist. Meine Artgenossen sind in der Heimat geblieben. Ich hatte mich aber in der Burg versteckt, um der Strafe wegen eines Fehlers in der Statik zu entgehen. Von Lorvorc, dem Bewohner der Burg, hielt ich mich fern. Das war nicht schwer, denn Lorvorc war oft unterwegs und benutzte ohnehin nur zwei Türme als Unterkunft. Dennoch beobachtete ich den Mächtigen heimlich und stellte fest, dass er immer mehr verzweifelte. Ab und zu bekam er Besuch von einem anderen Wesen, das ihm äußerlich glich und Murcon hieß. Sie redeten von einer Krise im Bund der Zeitlosen. Dann kam der Zeitpunkt, als Lorvorc seine Burg zerstörte. Ich nehme an, dass er seines Lebens überdrüssig war und allem ein Ende setzen wollte. Seine Roboter brachten seine unter den Trümmern liegenden sterblichen Überreste in ein vorbereitetes Grabmal, das noch heute in der Ruine existiert.«
Rhodan hatte aufmerksam zugehört. »Manches davon ist uns bekannt«, sagte er. »Schade, dass du dich nicht erinnerst, woher die Burg kommt, das hätte uns sehr interessiert.«
»Meine Erinnerung ist bruchstückhaft. Ich erwähnte es bereits.«
»Du hast dich als Bauarbeiter bezeichnet«, erinnerte Rhodan. »Ich will dir nicht zu nahe treten, aber wie ein solcher siehst du nicht aus.«
Cerveraux' Stimme wurde schrill, als er antwortete. Er schien von Gefühlen überwältigt zu werden.
»Was ihr vor euch seht, ist nicht der alte, echte Cerveraux, sondern nur noch dessen Karikatur. Ich nehme an, dass bei vernichtenden Explosionen Strahlung frei wurde, die meinem Metabolismus schadete. Mein Körper fing an, sich zu verändern, ich durchlebte eine Metamorphose, die meine Körperhülle zunehmend verhärtete. Außerdem wuchs ich zu dieser grotesken Masse an und kann mich nicht mehr bewegen.« Er schien vorübergehend zu pulsieren, vielleicht war es auch heftiges Atmen. »Die Metamorphose scheint noch nicht abgeschlossen zu sein, aber ich bin sicher, dass das Ende unmittelbar bevorsteht. Inzwischen weiß ich, dass in Lorvorcs Grabmal geheimnisvolle Dinge passieren. Eines meiner Tochtersysteme wurde dort abgeschossen. Die Tochtersysteme sind meine organischen Ableger. Sie stecken in diesen Flugkörpern, damit sie sich besser bewegen und mir dienstbar sein können.«
Er hat sie geboren!, erkannte Rhodan. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Form von Zellteilung während der Metamorphose. Cerveraux musste über natürliche Anlagen für eine derartige Veränderung verfügt haben, andernfalls hätte er diese Entwicklung kaum durchgemacht.
»Meine Metamorphose scheint mit den Vorgängen in Lorvorcs Grab zusammenzuhängen«, behauptete Cerveraux. »Vielleicht ist mein Ende gekommen.«
Rhodan konnte in dieser Kreatur keinen Feind sehen. Cerveraux war für ihn ein bedauernswertes Geschöpf, das Hilfe nötig hatte.
»Unser Begleiter Ganerc-Callibso hat Lorvorcs Grabmal gefunden und versucht, dort einzudringen«, sagte Rhodan. »Im Augenblick haben wir keinen Kontakt zu ihm, aber wenn es wieder dazu kommt, kann er uns sicher Hinweise geben, was sich im Zentrum der Ruine abspielt.«
»Ich weiß, wo euer Freund sich befindet«, erwiderte der ehemalige Bauarbeiter. »Geurly, eines meiner Tochtersysteme, ist ihm gefolgt. Auf einem der Schirme hinter mir könnt ihr das Grabmal sehen. Geurly befindet sich noch in der Nähe und wartet ab, ob der kleine Raumfahrer wieder herauskommt.«
Cerveraux' Stimme war schwächer geworden.
»Wie können wir ihm helfen?«, fragte Rhodan ratlos. Er schaltete seinen Translator um und berichtete Pankha-Skrin, was Cerveraux erzählt hatte. »Hast du eine Vorstellung davon, wie wir ihm helfen könnten?«
»Wir wissen nichts über ihn«, antwortete der Loower bedauernd. »Sein Schicksal wird sich vollziehen – so oder so.«
Rhodan hätte sich eine so fatalistische Einstellung nie zu eigen gemacht, aber er wusste auch, dass der Wille zu helfen allein nicht genügte. Ihm fehlten einfach relevante Informationen, damit er Cerveraux helfen konnte.
Rhodan beobachtete die Tochtersysteme, die den Koloss umkreisten. Auch sie schienen nicht zu wissen, was sie tun sollten. Cerveraux stieß einen klagenden Laut aus. Rhodan spürte, dass es sich um den Ausdruck höchster Qual und panikartiger Angst handelte.
Eine Stelle in Cerveraux' unförmigem Körper
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