Die Hüterin des Hauses (Romantic-Thriller, Unheimlich) (German Edition)
Sarah Corbett schaute fasziniert auf die von Licht umflutete Gestalt, die oberhalb der halbdunklen Treppe stand. Das Mädchen mochte etwa so alt sein wie sie selbst. Es trug ein hellblaues Kleid, das ihm fast bis zu den Fußspitzen reichte. Blonde Haare fielen in we i chen Wellen über seine Schultern.
"Wer bist du?" fragte Sarah atemlos. Mit der linken Hand u m klammerte sie das Treppengeländer.
"Ich bin Damaris", erwiderte das Mädchen. Seine Stimme schien im Raum zu schweben. Lächelnd fügte es hinzu: "Du mußt dich nicht vor mir fürchten."
"Ich fürchte mich nicht vor dir", erwiderte Sarah. "Wohnst du hier? Ich dachte, außer Onkel James und Mrs. Hanks würde hier ni e mand leben."
"Ich wohne schon sehr lange hier", sagte Damaris. "Viel länger als dein Onkel James." Sie stieg langsam die Stufen hinunter, bis sie Sarah fast erreicht hatte. "Ich habe auf dich gewartet." Sie streckte ihr die Hand entgegen.
"Auf mich?" Sarah sah sie ungläubig an. Sie nahm Damaris` Hand. "Komisch, ich spüre deine Hand kaum", meinte sie übe r rascht.
"Mach dir darüber keine Gedanken, Sarah." Damaris schaute ihr in die Augen. "Laß uns Freundinnen sein", bat sie.
"Ich hatte noch nie eine Freundin wie dich", sagte Sarah und folgte dem Mä d chen willig die Treppe hinauf.
"Es wurde allerhöchste Zeit für euch, nach England zurückz u kehren", meinte James Corbett zu seiner Großnichte. "Ich befürc h tete schon, eines Tages zu sterben, ohne euch noch einmal gesehen zu haben. Sechs Jahre sind eine lange Zeit, Janice." Er blickte zu dem Gemälde, das über dem Kamin hing. Es zeigte die Familie seines Neffen. Janice hielt ihre kleine Schwester Sarah auf dem Schoß, hinter ihnen standen Edward und seine Frau Victoria.
"Wir haben uns in New York sehr wohl gefühlt, Onkel James", erwiderte die junge Frau, "davon abgesehen, hätten Sarah und ich England dieses Jahr ohnehin besucht. Du weißt, daß ich an einem Roman über die Rosenkriege arbeitete. Was lag da näher, als an den Ort des Geschehens aufz u suchen."
"Aber es wäre nur ein Besuch gewesen." Der alte Herr drückte auf die Klingel, um seine Haushälterin zu bitten, frischen Tee zu bringen. Er nahm Janice` linke Hand. "Wann werde ich deinen Roman kennenlernen?" fragte er. Schmunzelnd fügte er hinzu: "Ehrlich, Janice, ich bin schon sehr gespannt auf ihn."
"Roman wird dir gefallen, Onkel James", meinte die junge Frau. "Außerdem kommt er aus einer sehr alten englischen Fam i lie." Sie wußte, daß ihr Großonkel sehr viel Wert auf den Hinte r grund der Menschen legte.
"Und was macht er beruflich?"
"Roman besitzt Beteiligungen an verschiedenen Unterne h men", erwiderte sie. "Er hat mit der Börse zu tun und ihm gehört ein großes Stück Land bei Cambridge. Ich habe Fotos davon ges e hen. Ein idyllisches Stückchen Erde."
James Corbett seufzte auf. "Das erinnert mich an meine St u dienjahre in Cambridge", sagte er. "Wie habt ihr euch kenneng e lernt? Du hast mir nie etwas darüber geschrieben." Er dankte Mrs. Hanks mit einem freundlichen Nicken, als diese den frischen Tee brachte.
Janice schenkte ein. "Mitten in New York", entgegnete sie. "Ich war mit Sarah auf dem Weg zum Arzt. Roman kam aus e i nem Geschäft. Wir stießen im wahrsten Sinne des Wortes zusa m men. Jeder entschuldigte sich bei dem anderen. Er lud uns zu einer Tasse Kaffee ein. Zwei Wochen später wußte ich bereits, daß ich mich unsterblich in ihn verliebt hatte." Versonnen blickte sie aus dem offenen Fenster in den weiten Garten, der das Haus umgab. "Wir hatten nicht viel Gelegenheit einander zu sehen, schließlich lebt Roman in London, aber so oft es ging, hat er mich in New York besucht. Es war seine Idee, daß Sarah und ich endlich nach London übersiedeln sollten. Er regelte alles für uns. Die Wo h nung, die er für uns gemietet hat, ist einfach zauberhaft. Von der Dachterrasse aus kann man den gesamten Regent`-Park überbli c ken."
"Eines Tages werdet ihr hier leben", sagte James Corbett. "Ich habe mich entschlossen, euch meinen Besitz zu verm a chen."
"Daß ist lieb von dir, Onkel James, doch daran wollen wir noch gar nicht denken", erwiderte Janice Corbett. Auch wenn ihr Onkel bereits an die Achtzig war und an so schwerer Arthritis litt, daß er keine Treppen mehr steigen durfte, schob sie den Gedanken an seinen Tod weit von sich. Sie hatten sich zwar sechs Jahre nicht mehr gesehen, aber sie liebte ihn. Noch immer besaß sie den Brief, den er ihr nach dem Unfalltod ihrer Eltern vor zwei
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