Silberfieber
ihr wolltet heute Abend ins Kino?«, fragte Michael und rieb sich den immer noch schmerzenden großen Zeh.
»Ja, wollten wir. Wir wollten uns auch um halb acht treffen, aber jetzt rate mal, wer nicht da war? Dein großer Kumpel Frank Schönbeck.« Katja klang hörbar genervt.
»Ich habe bis halb neun blöd in der Gegend herumgestanden, und als er dann noch nicht da war, bin ich nach Hause gefahren. Ich habe ihn gerade zum sechsten Mal angerufen, aber er geht nicht ran. Weder zu Hause noch ans Handy.«
Halb neun, und jetzt war es Viertel nach elf, rechnete Michael schnell nach. Kein Wunder, dass Katja sauer war, wenn Frank sie versetzt und sich seit fast drei Stunden nicht gemeldet hatte.
»Er ist bestimmt zu Hause und arbeitet an seiner Diplomarbeit. Ich hol dich ab, und wir fahren hin«, schlug Michael vor.
»Wahrscheinlich hockt er über seinen Tiefseekarten und hat alles andere vergessen«, sagte Michael, bevor ihm klar wurde, dass das für Katja, die eine Stunde lang vergeblich auf Frank gewartet hatte, keine besonders aufmunternde Bemerkung gewesen sein konnte.
Aber Katja war nicht auf Streit aus. »Also gut, aber bring deinen Schlüssel für seine Wohnung mit, ich habe ihm meinen letzte Woche zurückgegeben«, sagte sie.
Bevor Michael etwas sagen konnte, hatte Katja schon aufgelegt. Die letzte Bemerkung bezog sich ganz offenbar auf eine Veränderung in der Beziehung von Katja und seinem besten Freund, die er nicht mitbekommen hatte.
Das verwunderte Michael allerdings nicht besonders. Schließlich waren Frank und Katja schon drei Monate lang ein Paar gewesen, bevor er es überhaupt gemerkt hatte. Er hatte zu dieser Zeit noch halbherzig überlegt, selbst den Versuch zu wagen, Katja anzusprechen. Als die beiden ihn dann aber vor etwa einem Jahr zusammen zu einer Party abgeholt hatten, war er doch froh darüber gewesen, dass sich die Dinge mal wieder von selbst geregelt hatten. Zumeist war es ihm nur recht, wenn alles seinen geregelten Lauf nahm und man ihm ersparte, daran mitzuwirken. So hatte er auch nichts gegen die Beziehung zwischen Katja und seinem Freund Frank einzuwenden gehabt. Er stellte nur im Verlauf der Zeit überrascht fest, dass Katja Albers nicht nur strahlend schön, sondern zudem noch überaus sympathisch war.
Daher war er auch heute Abend sofort bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um Katja abzuholen und herauszufinden, warum Frank nicht zu ihrer Verabredung erschienen war.
Der Weg von Michaels zu Katjas Wohnung dauerte zu Fuß nur fünf Minuten. Sie wohnte in einer kleinen Seiten-Straße, mitten in St. Pauli. Doch Michael benötigte fast eine Viertelstunde, um seinen Peugeot 205 aus der engen Parklücke zu rangieren, ihn durch die schlecht beleuchteten regennassen Straßen zu manövrieren und anschließend durch das komplizierte System der verzweigten Einbahnstraßen zu schlängeln.
Katja stand bereits vor ihrer Haustür und wartete, sodass Michael froh war, wenigstens nicht nach einem freien Parkplatz suchen zu müssen. Sie stieg ein, und als sie sich neben ihn auf den Beifahrersitz setzte, nahm sie die Wollmütze ab und band ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Michael starrte sie von der Seite an und ließ den Motor laufen. Hinter ihnen hupte jemand ungeduldig.
»Was ist? Fahren wir?«, Katja blickte fragend zu ihm herüber. Michael trat entschlossen auf das Gaspedal und konzentrierte sich nur noch darauf, sich in den Verkehr der Hauptstraße einzuordnen.
»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wieso Frank unsere Verabredung vergessen hat. Es war schließlich sein Vorschlag, heute Abend auszugehen.«
Michael unternahm nur einige wenig erfolgreiche Versuche, Katja zu beruhigen, als sie durch den diesigen Novemberabend an der Außenalster entlang in Richtung Winterhude fuhren. Er machte sich keine besonderen Gedanken darüber, warum Frank die Verabredung verpasst hatte. Er war zwar nicht unzuverlässig, aber im Stress einer Diplomarbeit konnte man schließlich schon mal einen Termin verschwitzen. Eine Verabredung mit Katja war andererseits nicht irgendein Termin, und Michael war überzeugt, dass ihm das mit einer Frau wie Katja auf keinen Fall passiert wäre. Je länger er darüber nachdachte, desto eher kam Michael zu dem Schluss, dass es für Franks Verhalten eine andere Erklärung geben musste.
»Siehst du, in seiner Wohnung brennt Licht. Frank ist zu Hause und beschäftigt sich brav mit seinen Klimaschwankungen«, sagte er zu Katja, als er den Peugeot
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