Silberfieber
sie nicht, ich habe ihn heute besucht. Wenn er sie gehabt hätte, hätte er sie mir gegeben, soviel ist sicher.«
»Wer hat sie dann?«, fragte die Stimme.
»Unser alter Freund, Professor Dr. Anton Pfleiderer, so nennt er sich hier jedenfalls.«
»Ein guter alter deutscher Name«, sagte der Anrufer anerkennend.
»Österreichisch«, korrigierte Einstein, als sei der Unterschied wichtig. »Pfleiderer ist aber nicht in der Stadt, er wird erst morgen an der Universität Hamburg zu seinen Vorlesungen zurückerwartet. Ich werde dafür sorgen, dass er mir begegnet.«
Einstein lauschte Sekunden ins Leere. Endlich meldete sich der Mann aus Kanada wieder.
»Einstein?«
»Ja, Mr. Van?«
»Du weißt, wie viel diese Karte unseren Familien bedeutet. Nach der langen Zeit ist sie mit Geld nicht mehr zu bezahlen. Ich will damit nur sagen, mach nicht noch einmal einen Fehler.«
»Nein, Mr. Van«, versicherte Einstein. Doch der Anrufer hatte schon aufgelegt, ohne seine Antwort abzuwarten.
3
Frank lag lang gestreckt auf seiner Couch mit dem Kopf in Katjas Schoß und betrachtete seine zerschundenen Handgelenke. Michael saß ihnen gegenüber in dem Ledersessel, in dem acht Stunden zuvor noch der Mann gesessen hatte, der sich Einstein nannte und der seine Pistole auf Frank gerichtet hatte.
Im Gegensatz zu Einstein versank Michael fast in dem riesigen Sessel. Er hatte die Reißverschlüsse an den Innenseiten seiner dicken Winterstiefel heruntergezogen, sodass das pelzbesetzte Innenfutter sichtbar war. Die nackten Knöchel seiner Füße waren zu sehen, die wie auf einem erlegten Großwild auf dem Winkelschleifer thronten.
Der Stahl der Handschellen hatte dem schweren Werkzeug nicht lange standgehalten. Noch bevor sich jemand über den nächtlichen Lärm beschweren konnte, hatte Michael Frank auch schon von den Fesseln befreit. Jetzt baumelten die Handschellen an den beiden unbeschädigten Ringen der Heizung.
»Die lässt du am besten da hängen, damit du morgen der Polizei wenigstens ein paar Spuren des Überfalls zeigen kannst«, sagte Katja.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich der Polizei überhaupt irgendetwas davon erzählen will«, antwortete Frank.
»O ja, jetzt bist du wieder obenauf, aber bis eben hattest du noch Angst, dass du die ganze Nacht an der Heizung hängen müsstest. Natürlich rufst du morgen die Polizei an, der Kerl hat dich schließlich mit einer Pistole bedroht«, sagte Katja.
»Aber ich wusste doch, dass du oder Michael irgendwann kommen würdet. Das Telefon hat doch die ganze Zeit geklingelt«, protestierte Frank.
Katja schüttelte den Kopf und löste ihren blonden Pferdeschwanz, indem sie ihr Haargummi aus den Haaren zog. Noch immer war es viel zu heiß in der Wohnung. Auch wenn es schon Anfang November war und die Nächte kühler wurden, die Zimmertemperatur in unmittelbarer Nähe des mit voller Kraft laufenden Heizkörpers musste an die dreißig Grad erreicht haben.
»Du scheinst dich ja wieder sehr sicher zu fühlen, Frank Schönbeck. Ich habe immerhin heute Abend eine Stunde vor dem Kino auf dich gewartet, und ich kann dir sagen, ich habe lange überlegt, ob ich dich überhaupt anrufen soll.«
»Und was für eine Karte wollte dieser Kerl genau von dir?«, mischte sich Michael in den aufkommenden Beziehungsstreit ein.
Frank hatte den beiden die Geschichte des Überfalls ausführlich erzählt, doch bisher hatten sie hauptsächlich darüber gerätselt, was es mit der Einstein-Maskerade des unbekannten Eindringlings auf sich haben könnte.
»Er wollte eine alte Seekarte. Ich kenne die Karte tatsächlich. Darauf ist fast nichts zu sehen, nur der nordwestliche Teil des Atlantiks und ein Stück der Küste von Kanada. Ich glaube, ein Teil von Neufundland und ganz Neuschottland bis runter nach Boston sind auch drauf. Aber ich habe keine Ahnung, was er damit will. Er hat nur ständig behauptet, dass sie ihm gehört. Und gedroht wiederzukommen, wenn ich sie ihm nicht gebe.«
»Du weißt wirklich, welche Karte er gesucht hat?«, fragte Michael verwundert.
»Ja, natürlich, sie gehört Professor Pfleiderer. Er hat sie mir gegeben, als ich mit ihm mein Thema für die Diplomarbeit besprochen habe. Er hat mir alles gegeben, was er an Kartenmaterial in seinem Arbeitszimmer finden konnte. Es war so viel, dass ich hier einen ganzen Tag lang nur Seekarten sortiert habe. Ich kann mich gut an die Karte erinnern, die dieser Einstein haben wollte, weil sie mit Abstand die älteste war. Ich glaube, sie war sogar
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