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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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anderen Ort, weit weg von dort, wo man Schmerzen erleidet. Man schickt es so weit weg, wie man kann.
    Zur Liebe, zur Erinnerung an die Liebe, einem Strohhalm, an den man sich klammern konnte.
    Nur sie schaffte das nicht, denn wohin sie sich auch wandte, er war bereits da. Es gab kein Entkommen hin zur Liebe, nicht einmal in ihrer Kindheit, denn dort lag ihr Vater nackt auf dem Bett mit ihr – auf dem Bett ihrer Mutter – und nirgendwo gab es noch Reinheit. »Du wolltest doch die erste aller Prinzessinnen sein«, raunte James Lowell zärtlich. »Oh, das bist du jetzt, das bist du. Erlaube mir, dass ich dies mit dir mache, und dies, dir bleibt keine Wahl, du hast das doch schon immer so gewollt.«
    Alles. Alles nahm er ihr. Und die ganze Zeit hatte er nur eine Hand, und die andere mit dem faulenden Stumpf ließ sein schwärzliches Blut auf ihren Körper tropfen, das Brandwunden hinterließ, wo es mit ihr in Berührung kam.
    Dann verwandelte er sich wieder und immer wieder, verfolgte sie durch sämtliche Windungen ihrer Seele. Nirgendwo, nirgendwo konnte sie auch nur den Versuch wagen, sich zu verbergen. Denn nun fiel Pater Lauglin über sie her, drang in sie ein, zerriss sie, rieb sie wund, er, dessen Sanftheit für sie zeit ihres Lebens eine Zuflucht bedeutet hatte. Und danach kam, sie hätte darauf vorbereitet sein müssen – o Mutter Gottes, welche Sünde hatte sie begangen, was hatte sie getan, dass das Böse sie so in der Gewalt haben konnte? Denn nun kam Kevin, brutal und verzehrend, verbrannte sie mit dem Blut seiner fehlenden Hand. Kein Ort, wohin sie sich wenden konnte, gab es denn auf sämtlichen Welten keinen? Sie war so weit, so weit gegangen, und er war so ausladend, an sämtlichen Orten war er, überall, und das einzige, was ihm nicht gelingen wollte, war die Wiederherstellung seiner Hand, doch was nützte ihr das denn, oh, was denn?
    Das ging so lange weiter, bis inmitten der Schmerzen die Zeit aus den Angeln gehoben wurde, inmitten der Stimmen, des Umhertastens in ihrem Innersten wie mit einer Kelle, mühelos. Einmal verwandelte er sich in einen Mann, den sie nicht kannte, sehr groß, dunkelhaarig, ein Gesicht mit energischem Kinn, nun im Hass verzerrt, mit hervorquellenden braunen Augen – aber sie kannte ihn nicht, sie wusste, dass sie ihn nicht kannte. Und dann am Ende war er, und das entsetzte sie am meisten, wieder er selbst, riesenhaft übermannte er sie, die Kapuze auf grauenvolle Weise zurückgeschlagen, darunter das Nichts, endloses Nichts, bis auf die Augen, die sie in Fetzen rissen, die erste süße Frucht seiner langen Rache.
    Längst war alles vorbei, als sie das Bewusstsein wiedererlangte. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie atmete, sie war noch am Leben. Nein, sagte sie in Gedanken, und ihre Seele fand letzten Halt dort, wo es am dunkelsten war, wo das einzige Licht ihr eigenes war, so schwach. Und doch schrie sie in Gedanken ein zweites Mal Nein; und öffnete die Augen, sah ihm ins Gesicht und richtete noch einmal das Wort an ihn: »Du kannst sie mir nehmen«, presste Jennifer mit gequälter, schmerzerfüllter Stimme hervor, »aber ich werde sie dir nicht geben, und obendrein hat jeder von ihnen zwei Hände.«
    Und er lachte, denn ihr Widerstand bereitete ihm Freude, unerwartet verstärktes Vergnügen. »Dafür«, versicherte er, »sollst du alles verlieren. Ich werde mir deinen Willen zum Geschenk machen.«
    Sie verstand ihn nicht, aber nach einer Weile war plötzlich noch jemand in der Kammer, und während eines Momentes der Umnachtung glaubte sie, es handle sich um Matt Sören.
    »Wenn ich diesen Raum verlasse«, erklärte Rakoth, »gehörst du Blöd, denn er hat mir etwas verschafft, nach dem mich gelüstete.« Der Zwerg, nun doch nicht Matt, grinste. In seinem Gesicht stand das Verlangen zu lesen. Sie war nackt, wusste sie. Entblößt.
    »Du wirst ihm alles geben, wonach er verlangt«, sagte der Entwirker. »Er wird es sich nicht nehmen müssen, du wirst geben und immer wieder geben, bis du stirbst.« Er wandte sich dem Zwerg zu. »Sie gefällt dir?«
    Blöd konnte bloß nicken; seine Augen waren erschreckend. Wieder lachte Rakoth, dies war das Lachen, das mit dem Wind gekommen war. »Sie wird alles tun, was du verlangst. Ist der Morgen vorüber, sollst du sie jedoch töten. Ganz wie es dir gefällt, aber sterben muss sie. Ich habe meine Gründe.« Und Sathain, der Verhüllte, trat vor und berührte sie noch einmal, mit der verbliebenen Hand, zwischen den Augen.
    Und oh, es war

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