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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Flächen der Gletscher. Dann, als sie näher herangeflogen kamen, wurde sie von seinem Anblick beinahe physisch erschlagen: von den riesenhaften, aufeinander getürmten Brocken fensterlosen Gesteins, zwielichtig, trutzig. Die Festung eines Gottes.
    Dunkelheit und Kälte hatten geherrscht, als seine Diener sie von dem Schwan losbanden. Fest zupackende Hände hatten sie – denn ihre Beine waren taub – ins Innere Starkadhs gezerrt, wo es nach Moder und verwesendem Fleisch stank, trotz der Kälte, und die wenigen Lampen giftig grün glühten. Sie hatten sie allein in eine Kammer gestoßen, und sie war schmutzig und erschöpft auf das eine besudelte Strohlager auf dem eisigen Fußboden gesunken. Es roch nach Svart Alfar.
    Doch sie lag noch lange Zeit wach, zitternd, so bitterkalt war es. Als sie tatsächlich einschlief, war es ein unruhiger Schlaf, und der Schwan flog durch ihre Träume und stimmte ein kaltes Triumphgeschrei an.
    Sie erwachte in der Gewissheit, dass die Schrecken, welche sie durchgestanden hatte, nur eine Zwischenstation auf dem langen Weg in die Tiefe waren, und dass der Boden in der Finsternis zwar noch nicht zu sehen war, aber dennoch auf sie wartete. Sie war auf dem Weg dorthin.
    Jetzt war es allerdings nicht mehr völlig dunkel in der Kammer. An der gegenüberliegenden Wand loderte ein helles Feuer, und in der Mitte des Raums sah sie ein breites Bett stehen, und das Herz verkrampfte sich ihr, als sie darin das Bett ihrer Eltern erkannte. Da überkam sie eine Vorahnung, vollständig und deutlich war das Bild: Sie war hier, um zerbrochen zu werden, und an diesem Ort war keine Gnade zu erwarten. Hier hauste ein Gott.
    Und in eben diesem Moment war er da, war er eingetroffen, und sie spürte mit Bestürzung, dass ihre Seele entblößt wurde, als ziehe man die Schale von einer Frucht. Einen Augenblick kämpfte sie dagegen an, dann wurde sie von allen Seiten umklammert, heimgesucht von der Gemächlichkeit, mit der er sie entkleidete. Sie befand sich in seiner Festung. Sie war ihm ausgeliefert, das machte er ihr klar. Sie würde auf dem Amboss seines Hasses zerschmettert werden.
    Es war vorbei, ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte. Ihr Sehvermögen kehrte zurück, langsam, verschwommen; ihr ganzer Körper zitterte heftig, sie hatte ihn nicht in der Gewalt. Sie wandte den Kopf und sah Rakoth.
    Sie hatte sich geschworen, nicht zu schreien, doch an diesem Ort waren alle Schwüre nichts wert, bei seinem Anblick.
    Von außerhalb der Zeit war er gekommen, jenseits der Hallen des Webers, eingebrochen in das Muster des Gewirks. In sämtlichen Welten war seine Gegenwart spürbar, doch fleischgeworden war er in Fionavar, der Ersten der Welten, auf die es ankam.
    Hier hatte er den Fuß auf das Eis gesetzt und damit das Nordland zum Ort seiner Machtausübung erkoren, und hier hatte er die zackenbewehrte Feste Starkadh errichtet. Und als sie fertig gestellt war, einer Klaue gleich, einem Krebsgeschwür hoch im Norden, war er auf den höchsten Turm gestiegen und hatte seinen Namen hinausgeschrien, damit der Wind ihn den zahm gewordenen Göttern zutrage, vor denen er keine Angst hatte, denn er war bei weitem stärker als sie alle.
    Rakoth Maugrim, der Entwirker. Cernan war es, der Waldgott mit dem Hirschgeweih, der die Bäume rauschen ließ und damit seinem Anspruch spottete, und spöttisch benannten sie ihn um: Sathain, der Verhüllte, und Mörnir, Beherrscher des Donners, sandte Blitze herab, um ihn vom Turm zu vertreiben.
    Und die ganze Zeit über sangen die Lios Alfar, gerade erst zum Leben erweckt, in Daniloth vom Licht, und Licht war in ihren Augen, in ihrem Namen, und er empfand ihnen gegenüber unvergänglichen Hass.
    Zu früh war er zum Angriff übergegangen, auch wenn es den Sterblichen wie nach langen Jahren vorgekommen sein mochte. Und in der Tat gab es damals in Fionavar Sterbliche, denn lorweth war von jenseits des Meeres gekommen, aufgrund eines Traums, den Mörnir ihm mit Zustimmung der Mutter gesandt hatte, um Paras Derval in Brennin nahe dem Sommerbaum zu gründen, und sein Sohn hatte dort geherrscht, und der Sohn seines Sohns, und dann hatte Conary den Thron bestiegen.
    Und zu jener Zeit war Rakoth wutentbrannt aus dem Eis herabgekommen.
    Und war nach erbitterter Auseinandersetzung zurückgedrängt worden. Nicht von den Göttern – denn in der Zwischenzeit hatte der Weber gesprochen, zum ersten und einzigen Mal gesprochen. Er sagte, die Welten seien nicht gewoben worden, um den Mächten von

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