Silo 1: Roman (German Edition)
Clarke, ihr
Mann, saß an einem Tisch, der mit Saftbechern und Schalen voller Maismehlkekse
gedeckt war.
Holston blickte auf
die Wand der Kantine und die verschwommene Panoramaprojektion – dem
umfassendsten zusammenhängenden Blick auf die unwirtliche Welt dort draußen. Es
war Morgen, trübes Dämmerlicht überzog die leblosen Hügel, die sich seit
Holstons Kindheit kaum verändert hatten. Da waren sie, so wie sie immer da
gewesen waren, während er sich von einem unbeschwert in der Kantine spielenden
Jungen zu der ausgebrannten Hülle entwickelt hatte, die heute noch von ihm
übrig war. Hinter den sich erhaben wellenden Hügelkämmen wurden die schwachen
Strahlen der Morgensonne von der Spitze der vor sich hin rottenden Skyline
reflektiert. Altes Glas und Stahl standen dort in der Ferne, wo vermutlich
einmal Menschen auf der Erdoberfläche gelebt hatten.
Ein Kind löste sich
wie ein Komet aus der Gruppe und stieß gegen Holstons Knie. Unvermittelt dachte
er an die Lotterie, die sie in Allisons Todesjahr gewonnen hatten. Er hatte
noch immer das Los, nahm es überall mit hin. Eines dieser Kinder hätte ihres
sein können – ein Mädchen oder ein Junge, es wäre nun zwei Jahre alt und würde
mit den anderen Kleinen herumtoben. Wie alle Eltern hatten sie von doppeltem
Zwillingsglück geträumt. Sie hatten es versucht, natürlich hatten sie das.
Nachdem Allisons Hormonimplantat entfernt worden war, hatten sie eine
wundervolle Nacht nach der anderen versucht, den Gewinn einzulösen. Einige
Eltern hatten ihnen Glück gewünscht, andere hoffnungsfrohe Kandidaten hatten
still gebetet, dass ihr Jahr erfolglos vorüberginge.
Allison und er
hatten gewusst, dass ihnen nur ein Jahr zur Verfügung stand, also hatten sie
jedes nur erdenkliche Hilfsmittel benutzt und waren am Ende gar dem Aberglauben
verfallen. Knoblauch über dem Bett steigerte angeblich die Fruchtbarkeit, zwei
Münzen unter der Matratze brachten Zwillinge, ein rosa Band in Allisons Haar,
blaue Farbe auf Holstons Augenlidern – alles lächerlich und aussichtslos.
Einzig, nicht alles zu versuchen, irgendeinen dummen Trick, irgendeine
Strategie auszulassen wäre noch verrückter gewesen.
Doch es hatte nicht
sein sollen. Noch bevor die Jahresfrist abgelaufen war, war das Los einem anderen
Paar zugefallen. Es hatte nicht daran gelegen, dass sie sich keine Mühe gegeben
hätten, sondern es hatte ihnen die Zeit gefehlt. Genauer gesagt: Es fehlte
plötzlich die Frau.
Holston wandte sich
von den Kinderspielen und dem trüben Ausblick ab und ging zu seinem Büro, das
zwischen der Kantine und der Luftschleuse des Silos lag. Während er diese
Strecke zurücklegte, wanderten seine Gedanken zu dem Kampf, der dort einmal
stattgefunden hatte, einem Kampf der Geister, den er in den letzten drei Jahren
Tag für Tag erneut hatte durchleben müssen. Und er wusste: Würde er sich
umdrehen und dem weiten Ausblick an der Panoramawand folgen, würde er durch die
zunehmend trüben und fleckigen Kameralinsen und die Luftverschmutzung
hindurchspähen und entlang der dunklen Spalte den Hügel hinaufblicken, entlang
dieser Falte, die sich über die schlammige Düne zur Stadt hinzog, dann würde er
ihre reglose Gestalt erblicken können. Dort auf dem Hügel würde er seine Frau
sehen. Sie lag da wie ein schlafender Fels, die Arme unter dem Kopf
verschränkt, während die vergiftete Luft an ihr zehrte.
Vielleicht.
Es war nicht gut zu
sehen, war auch damals nicht eindeutig auszumachen gewesen, bevor sich die
Linse von Neuem zu trüben begann. Außerdem war diesem Blick kaum zu trauen, es
gab eher guten Grund, ihn anzuzweifeln. Und deshalb sah Holston ganz einfach
nicht hin. Er durchquerte den Raum, in dem der Geist seiner Frau gekämpft hatte
und in dem die schlechten Erinnerungen für immer gespeichert waren – das Bild
ihres plötzlichen Wahnsinns –, und betrat sein Büro.
»Da ist heute aber
einer früh dran!«, sagte Deputy Marnes lächelnd.
Holstons
Stellvertreter schloss gerade eine Schublade des metallenen Aktenschrankes,
dessen uralte Scharniere leblos quietschten. Er nahm einen dampfenden Becher,
dann sah er Holstons ernste Miene. »Alles in Ordnung, Chef?«
Holston nickte. Er
deutete auf das Schlüsselbrett hinter dem Schreibtisch. »Zur Arrestzelle«,
sagte er.
Das lächelnde
Gesicht seines Stellvertreters verzog sich zu einem irritierten Stirnrunzeln.
Er stellte den Becher ab, drehte sich um und nahm den Schlüssel. Während Marnes
ihm den Rücken zudrehte, rieb
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