Silver Linings (German Edition)
genug, um Schneebälle zu machen. Ich hab Nikki draußen mit Phillip gesehen, und sie haben mit zwei kleinen Kindern gespielt. Anhand der Farben, die sie anhatten, hab ich vermutet, dass das in Blau ein kleiner Junge war, und das in größtenteils rosa Sachen ein noch kleineres Mädchen. Nachdem wir vorbeigerollt waren, hab ich Jake gebeten, einmal um den Block zu fahren und dann ein Stück entfernt zu parken, damit wir Nikkis neue Familie beim Spielen im Schnee beobachten können. Mein altes Haus liegt an einer belebten Straße, sodass Nikki uns wahrscheinlich nicht bemerken würde. Jake hat also den Motor abgestellt, die Scheibenwischer aber weiterlaufen lassen, damit er was sehen konnte. Ich bin wegen meines Gipsbeins hinten gesessen und hab das Seitenfenster runtergekurbelt, und dann haben wir der spielenden Familie lange Zeit zugeschaut – so lange, dass Jake schließlich wieder den Motor angelassen und die Heizung hochgedreht hat, weil es zu kalt wurde. Nikki hatte den langen grün-weiß gestreiften Schal um, den ich immer zu den Eagles-Spielen getragen hab, eine braune Steppjacke und rote Handschuhe. Ihr rotblondes Haar ist unter einem grünen Hut rausgequollen, ganz lockig. Die vier haben eine Schneeballschlacht gemacht. Nikkis neue Familie hat eine herrliche Schneeballschlacht gemacht. Man hat sehen können, dass die Kinder ihren Vater und ihre Mutter lieben und der Vater die Mutter liebt und die Mutter den Vater liebt und die Eltern die Kinder lieben. Sie haben sich alle so liebevoll gegenseitig mit Schneebällen beworfen, sind mal dem einen, mal dem anderen nachgejagt, haben ausgelassen gelacht und sich mit ihren dick eingemummelten Körpern gegenseitig angerempelt und …»
Ich stocke, weil ich Mühe habe, die Worte aus der Kehle zu bekommen.
«Und ich hab die Augen zusammengekniffen, um Nikkis Gesicht zu sehen, und selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass sie die ganze Zeit gelächelt hat und einfach glücklich war, und irgendwie hat mir das genügt, um die Auszeit offiziell zu beenden und den Abspann zu meinem Film laufen zu lassen, auch ohne mit Nikki gesprochen zu haben. Also hab ich Jake gebeten, mich nach New Jersey zurückzubringen, was er auch gemacht hat, weil er wahrscheinlich der beste Bruder auf der ganzen Welt ist. Das heißt dann wohl, ich möchte einfach nur, dass Nikki glücklich ist, auch wenn in ihrem glücklichen Leben kein Platz für mich ist, weil ich meine Chance hatte und ich kein besonders guter Ehemann war, und Nikki war eine tolle Ehefrau und …»
Ich stocke erneut, schlucke mehrmals.
«Und ich werde mich einfach an diese Szene als Happy End des Films meines alten Lebens erinnern. Nikki, wie sie mit ihrer neuen Familie eine Schneeballschlacht macht. Sie sah so glücklich aus – und ihr neuer Mann und ihre beiden Kinder …»
Ich höre auf zu reden, weil keine Worte mehr herauskommen wollen. Es ist, als hätte die Kälte mir Zunge und Kehle eingefroren – als würde die Kälte sich in meiner Lunge ausbreiten und mir die Brust von innen nach außen einfrieren.
Tiffany und ich stehen lange auf der Brücke.
Obwohl mein Gesicht taub ist, spüre ich eine Wärme in den Augen, und auf einmal merke ich, dass ich irgendwie wieder weine. Ich wische mir mit dem Jackenärmel über Augen und Nase, und dann schluchze ich los.
Erst als ich mit Weinen fertig bin, sagt Tiffany endlich etwas, aber sie spricht nicht über Nikki. «Ich habe ein Geburtstagsgeschenk für dich, aber es ist nichts Besonderes. Und ich hab’s auch nicht eingewickelt oder eine Karte dazu geschrieben oder so, weil, na ja … weil ich deine verkorkste Freundin bin, die nun mal keine Karten kauft oder Geschenke verpackt. Und ich weiß, es kommt über einen Monat zu spät, aber trotzdem …»
Sie zieht ihre Handschuhe aus, öffnet ein paar Knöpfe und zieht mein Geschenk aus der Innentasche ihrer Jacke.
Ich nehme es ihr aus den Händen, eine Sammlung von etwa zehn dick laminierten Seiten – jede etwa zehn mal zwanzig Zentimeter groß und mit einer silbernen Niete in der oberen linken Ecke zusammengehalten. Auf dem Deckblatt steht:
WOLKENTAFEL
FÜR DEN
HIMMELSBEOBACHTER
benutzerfreundliche,
strapazierfähige Schaubilder
zur Wolkenerkennung
für alle Freiluftfanatiker
«Du hast immer nach oben in die Wolken geschaut, wenn wir gelaufen sind», sagt Tiffany, «deshalb dachte ich, du würdest vielleicht gern die unterschiedlichen Formen benennen können.»
Aufgeregt drehe ich das Deckblatt nach
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