Bis euch der Pfähler holt!
In dieser Nacht war der erste Schnee gefallen. Wie ein bleiches Leichentuch hatte er sich über die Bergwelt der Karpaten gelegt. Die Luft war schwer wie Blei, die Wolken hingen niedrig und verschluckten das Heulen der Wölfe, die auf ihrer Suche nach Beute durch die Finsternis geisterten.
Jeder wollte satt werden – Menschen und Tiere, was in diesem von Krisen geschüttelten Land nicht so einfach war. Es war still, der tiefe Schnee schluckte viele Geräusche und dämpfte auch das Rattern des kleinen Zugs, der im Schneegestöber durch die Bergwelt rollte. Eine Lok, ein mit Holz und Kohle gefüllter Tender und dahinter ein Wagen. Die Ladung wirkte unheimlich. Sie bereitete den Menschen Angst, denn sie bestand aus fünf Särgen…
***
Es gibt Menschen, die Vorahnungen haben, und es gibt Menschen, die diesen Vorahnungen nachgehen.
Zu den letzteren zählte auch Marek, der Pfähler. Er war einer der wenigen Menschen, die stets die Augen offenhielten und nicht nur die Objekte sahen, die ihnen präsentiert wurden, er schaute auch hinter die Dinge. Er konnte es fühlen, riechen und schmecken, wenn sich etwas anbahnte.
Als Witwer lebte er in einem Land der Sagen und Legenden. Er kannte die Geschichte, er kannte die Auswirkungen, die bis in die heutige Zeit hineinfaßten, und er wußte auch, daß gerade hier in Rumänien die Sagen und Legenden nicht einfach aus der Luft gegriffen waren, sondern oftmals zu bösen Tatsachen wurden, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte.
Tatsachen, die einen bestimmten Namen trugen.
Vampire!
Marek war der Pfähler, er war der gnadenlose Vampirjäger, und er wurde nie arbeitslos. Stets war er auf der Suche, und oft genug wurde er fündig, denn die Blutsauger versuchten es immer wieder. Sie hatten sich lange genug verborgen gehalten, doch das alte System war tot, die Vampire hatten blutige Morgenluft gewittert, und Marek hatte schon so marchen Wiedergänger vernichten können. Aber die Brut war nicht zu zerstören. Wurde ihr ein Arm abgeschlagen, so wuchs der nächste nach, diesmal noch vorsichtiger und versteckter.
Es gab sie wieder, es gab sie immer noch, und sie war stärker denn je.
Daraus ließ sich einzig und allein ableiten, daß der Pfähler eben mehr Arbeit bekam und nicht mehr so oft in seiner kleinen Heimatstadt Petrila war, sondern mit seinem alten VW kreuz und quer durch das Land fuhr, um die Vampire zu suchen.
Er kannte die hohen Pässe, die einsamen Täler und die dunklen Wälder.
Er wußte, wo die alten Schlösser und Burgen standen, die meisten waren zerstört, aber ausgezeichnete Verstecke für diejenigen, die das Licht des Tages scheuten.
Wenn er sie stellte, kannte er kein Pardon. Dann setzte er seinen alten Eichenpflock ein, der ihm auch den Kampfnamen Pfähler gegeben hatte.
Marek suchte, Marek fand. Er hatte eine Nase dafür, wo sich irgendwelche Blutsauger aufhalten konnten. Er konnte aus bestimmten Spuren vieles entnehmen. Obwohl sich ihre Verhältnisse, relativ gesehen, verbessert hatten, scheuten sie noch immer das Licht der Öffentlichkeit. Sie verkrochen sich, tauchten unter, verschmolzen mit der Schwärze der Nacht und hatten alle Zeit der Welt.
So war es auch vor einer Wochen gewesen, und Marek, der seinen Wagen in der Nähe der Bahnhofs abgestellt hatte, erinnerte sich noch genau an die Begegnung mit einem Mann, der in der Szene der Schleicher genannt wurde.
Es war ein widerlicher Typ, dabei fiel er gar nicht auf, aber gerade das machte ihn so gefährlich. Er schlich, und er hatte dabei seine Ohren gespitzt.
Der Schleicher wußte viel, der Schleicher stellte Verbindungen her, der Schleicher kassierte dafür auch ab. Nur in ausländischen Währungen, versteht sich, und so gehörte er in Rumänien zu den vermögenden Menschen. Viele kannten ihn, doch keiner kannte ihn richtig. Man wußte auch nicht, wo er wohnte. Wer ihn treffen wollte, der traf ihn auch, denn es gab da gewisse Punkte und Orte, wo er anzutreffen war und gewissermaßen wie ein Häufchen Elend in irgendeiner Ecke hockte, denn auffallen wollte er auf keinen Fall.
Marek zuckte zusammen, als durch den offenen Spalt der Seitenscheibe einige Schneeflocken in den Wagen drangen und seine Wangen erwischten. Die Kühle riß ihn aus seinen Gedanken an den Schleicher und der letzten Begegnung mit ihm. Als er merkte, daß sich in seiner Umgebung nichts tat, verfiel er wieder in den Teich der Erinnerungen und dachte daran, wie sie sich getroffen hatten.
Der Schleicher wußte über vieles
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