Silvy will die Erste sein
sie sich über
die anderen, über Katrin, Olga, Ruth und Leonore und nicht zu knapp auch über
Dr. Künzel. Sie ärgerte sich so maßlos, daß ihr spitzes Gesicht fast grün davon
wurde.
Die Freundinnen dagegen waren
jetzt zur Versöhnung bereit, denn da sie ihre Rache genossen hatten, fiel es
ihnen nicht schwer, großmütig zu sein.
Katrin machte einen Vorstoß.
„Komm, altes Haus“, sagte sie, als sie Silvy am nächsten Morgen vor der Schule
begegnete, „nimm’s nicht so tragisch. Du weißt doch, Spaß muß sein.“
„Laß mich in Ruh!“ fauchte
Silvy.
„Du siehst gar nicht so aus,
als ob du momentan deine Seelenruhe hättest!“ stellte Katrin fest. „Wenn du
deine verknautschten Züge mal zu einem Lächeln...“
Silvy fiel ihr ins Wort. „Ach,
rutsch mir doch den Buckel runter!“ zischte sie, stieß Katrin beiseite und
sauste davon.
Nun hätte Katrin sie
wahrscheinlich leicht einholen können, da sie schneller lief, aber sie machte
keinen Versuch dazu. Silvys Ablehnung war zu deutlich gewesen.
Zwei Tage später wurde eine
Deutscharbeit geschrieben. Frau Dr. Mohrmann diktierte Sätze im Imperativ, der
Befehlsform, die die Schülerinnen in den Konjunktiv, die Möglichkeitsform,
übertragen sollten.
Für die meisten war das nicht
schwer, denn sie hatten es ja vorher durchgenommen, und Frau Dr. Mohrmann war
eine so gute Lehrerin, daß man schon ein Brett vor dem Kopf haben mußte, um bei
ihr nicht mitzukommen.
Nur leider hatte Leonore ein
solches Brett vor dem Kopf. Ständig übermüdet und mit den Gedanken nicht bei
der Sache, hatte sie im Unterricht nicht aufgepaßt und mußte sich jetzt mächtig
anstrengen. Einmal schaute sie sich hilfesuchend um. Katrin fing ihren Blick
auf und nickte ihr ermutigend zu.
„So, jetzt lese ich euch noch
einmal alle Sätze im Imperativ vor“, sagte Frau Dr. Mohrmann, „und ihr könnt
vergleichen, ob ihr sie richtig umgewandelt habt!“ Sie nahm ihre Notizen und
las vor: „Prinz Eugen befahl den Soldaten: ,Stürmt die Festung!’ — Die Mutter
rief: ,Kommt ins Haus, Kinder!“ — ,Ich habe Hunger, gebt mir zu essen’,
bettelte der alte...“
Katrin hörte gar nicht mehr
hin. Sie nutzte die Gelegenheit, rasch die Tätigkeitswörter in der verlangten
Möglichkeitsform auf einen Zettel zu kritzeln: ,sollten stürmen, sollten
kommen, habe, essen geben mögen...’ und so weiter, und ehe Frau Dr. Mohrmann
noch zu Ende gekommen war, hatte sie das Papier schon zusammengeknifft und „für
Leonore“ darauf geschrieben. Es gelang ihr, Silvy aufmerksam zu machen, und sie
warf ihr den Spickzettel über den Gang weg zu. Sie wollte damit nicht nur
Leonore helfen, sie wollte auch Silvy eine Chance geben, sich wieder zu den
Freundinnen zu bekennen.
Silvy fing den Zettel
tatsächlich auf, und eine Sekunde lang glaubte Katrin schon, ihr Trick hätte
gewirkt. Aber Silvy las nur die Anschrift, und dann, anstatt ihn Leonore
weiterzureichen, ließ sie ihn einfach fallen.
In diesem Augenblick sah Frau
Dr. Mohrmann auf. „Silvy“, fragte sie, „was war das?“
„Ich weiß es nicht.“
„Bitte, heb das Papier auf und
bring es nach vorn!“
Silvy tat, was Frau Dr.
Mohrmann von ihr verlangte.
Die Klassenlehrerin las die
Anschrift, faltete das Papier auseinander und überflog die aufgeführten Verben.
„Wer hat dir das gegeben?“ fragte sie.
Katrin wollte Silvy keine
Gelegenheit geben, sie anzuzeigen; sie hob den Finger. „Ich war das!“
Frau Dr. Mohrmann sah sie lange
an. „So“, sagte sie dann nachdenklich, „also du, Katrin. Dann komm, bitte,
heute nachmittag zu mir in meine Wohnung, sagen wir gegen fünf Uhr, wenn du
deine Hausaufgaben erledigt hast. Und du auch, Silvy!“
„Ich habe doch nichts getan!“
„Hast du den Zettel etwa nicht
angenommen?“
„Aber ich hatte nie vor, ihn
weiterzugeben!“
„Darüber wollen wir uns heute
nachmittag unterhalten. Dich erwarte ich auch, Leonore, und da wir schon einmal
dabei sind...“ Frau Dr. Mohrmann ließ ihren Blick über die Klasse gleiten.
„Nein, Silvy, Leonore und Katrin, das genügt.“
In der kleinen Pause stürzte
Silvy auf Katrin zu. „Das hast du mir eingebrockt!“ rief sie. „Noch ein Tadel
ins Klassenbuch, und es kommt ins Zeugnis! Was, denkst du, werden meine Eltern
dazu sagen?!“
„Reg dich bloß ab“, erwiderte Katrin,
„es hätte doch viel schlimmer kommen können. Stell dir vor, Mohrchen hätte
unsere Arbeiten für ungültig erklärt...“
„Und außerdem“, sprang Ruth
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