Silvy will die Erste sein
geschluckt“,
erklärte Olga, vor Schadenfreude strahlend, „und sie war wild entschlossen,
sich die gleichen Unterlagen zu beschaffen. Na, und da habe ich eben so getan,
als hätte ich sie mir von Katrin erbettelt und habe sie ihr gegeben!“
„Das ist nicht wahr!“ rief
Silvy. „Das ist ja eben die Gemeinheit! Sie… Olga, Ruth, Leonore und Katrin...
sie haben die Aufgaben von vornherein gewußt... und mir... mir haben sie die
falschen angedreht!“
Jetzt konnte sich Katrin nicht
mehr zurückhalten. Sie begann zu lachen, mit zurückgeworfenem Kopf und weit
aufgerissenem Mund lachte sie ihr ansteckendes Kasperle-Lachen, und die ganze
Klasse und sogar Dr. Künzel lachten mit.
Silvy allein lachte nicht, sie
stand da, mit Tränen in den Augen, und ihre Lippen zitterten.
Katrin tat sie plötzlich leid.
„Aber Menschenskind, Silvy“, schrie sie, „begreifst du denn nicht? Das Ganze
war doch nur ein blöder Witz. Und du bist darauf hereingefallen. Niemand hat
die Aufgaben im voraus gewußt... niemand! Wie konntest du denn nur so etwas
glauben!?“
Es dauerte eine ganze Weile,
bis das Lachen verebbte.
Dann sagte Dr. Künzel und mußte
sich die Tränen mit dem Zipfel seines weißen Taschentuches aus den Augenwinkeln
tupfen: „Ich muß mich doch sehr über dich wundern, Heinze.“
„Weil ich mich habe
anschwindeln lassen?“ fragte Silvy mit erstickter Stimme. „Wenn Sie nur wüßten,
wie raffiniert die das angestellt haben! Jede Einzelheit mußte ich aus ihnen
herauskitzeln...“
„Nein, das meine ich gar
nicht“, sagte der Mathematiklehrer und wurde wieder ernst, „sondern wenn ich mich
recht erinnere, warst du doch ein so entschiedener Gegner jeder Mogelei. Und
doch hast du versucht, dir Spickzettel zu verschaffen und wärest nicht davor
zurückgeschreckt, von den auf krummen Wegen erhaltenen Kenntnissen Gebrauch zu
machen.“
Silvy wurde womöglich noch um
einen Ton dunkler. „Ich... hätte es angezeigt.“
„Wann? Jetzt gleich, am Anfang
der Stunde? Das nehme ich dir nicht ab, denn dann hättest du dich doch
eigentlich freuen müssen, daß dein schlimmer Verdacht sich als unberechtigt
herausstellte.“
„Also freuen, Herr Doktor“,
ließ Olga sich vernehmen, „ist doch ein bißchen viel verlangt. Die Ärmste hat
alles in allem sechsunddreißig Differentialrechnungen mit End- und
Zwischenlösungen auswendig gelernt.“
Die Klasse jubelte.
„Na, dann wird sie es jetzt ja
wohl prächtig können“, sagte Dr. Künzel und blickte wieder auf seine
Armbanduhr, „wir haben mit diesem Streich jetzt eine gute Viertelstunde
verloren, aber ich bin heute gnädig gesinnt und werde erlauben, daß wir sie
anhängen. Wenn du aber von mir erwartest, Heinze, daß ich jemanden bestrafe, so
muß ich dich enttäuschen. Erstens habe ich keine Lust, bei euch den großen
Buhmann zu spielen, und zweitens gibt es in diesem Fall nur eine einzige
Schülerin, die Strafe verdient hätte, und das bist du selber. Denn du warst die
einzige, die die Absicht hatte, bei dieser Arbeit zu schwindeln. Siehst du das
wenigstens ein?“ Silvy saß mit hängendem Kopf da und schwieg, während die
Tränen ihr über die Wangen liefen.
„Nun, das ist anscheinend
zuviel verlangt“, sagte der Mathematiklehrer, „aber immerhin, du hast deine
Lehre erhalten und wirst bei einigem Nachdenken sicher doch noch zur Vernunft
kommen.“ Silvy wischte sich die Tränen ab. Sie sah, daß Katrin neben ihr eifrig
schrieb und rechnete, und hörte auch, daß die anderen Schülerinnen arbeiteten.
Sie biß die Zähne zusammen und versuchte, sich auf die Aufgaben zu
konzentrieren.
Die anderen hatten sie
hereingelegt, das stimmte, aber das war doch noch kein Grund zum Verzweifeln,
versuchte sie sich selber zu überzeugen. Sie mußten ja, genau wie sie, ganz auf
sich allein gestellt, die Klassenarbeit schreiben, und das würde, jedenfalls
für Ruth und Leonore, ein harter Brocken werden.
Sie konnte und mußte ihnen
allen beweisen, daß sie eben doch die Süchtigste und die Beste in der Klasse
war, indem sie eine Eins schrieb.
Silvy holte tief Atem. Sie
rechnete und rechnete, aber sie konnte mit ihrer Blamage nicht so schnell
fertig werden, und dazu tanzten die vielen Zahlengruppen, die sie auswendig
gelernt hatte, ununterbrochen in ihrem Kopf herum.
Pech gehabt
Silvy wurde nicht so bald
vernünftig. Sie ärgerte sich zu sehr, vor allem über ihre eigene Dummheit, und
da sie das nicht einmal vor sich selber zugeben wollte, ärgerte
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