Sind wir bald da
verschluckt. Kein großer Freund des Briefverkehrs und kein Anhänger falscher Sentimentalitäten. Das habe ich kurz bedauert (zirka zehn Jahre lang), bevor ich mich dann relativ bald damit abgefunden habe, dass er eben keinen Fernkontakt wünscht oder tot ist. Oder beides. Ihn über Internet ausfindig zu machen, wäre so Erfolg versprechend gewesen, als würde man einen Peter Müller oder einen John Smith suchen. Santiago Jaramillo ist kein seltener Name in dem Sinn.
Wie gesagt, zehn Jahre suche ich nach dem Freund, meine Verzagtheit wird immer kleiner, bevor ich weitere dreizehn Jahre resigniere. Dann beschäftige ich mich mit dem Camino de Santiago, dem Jakobsweg, die Fertigung des entsprechenden Buches neigt sich dem Ende zu... und plötzlich — eine Nachricht von Santiago Jaramillo. Er hat mich auf Facebook gefunden, kurz nachgefragt, ob ich eh der aus Ohio bin und dann als Erklärung gemeint, er sei eben sehr busy . Darum habe er sich dreiundzwanzig Jahre nicht melden können. Muss man akzeptieren. Ich will andere Menschen nicht beurteilen, und wenn er das so sieht, dann sieht er das eben so.
Aber — ist das nicht großartig? Ich komme zurück von einem Trip durch die St. Jakobs der Alpen und Dolomiten, packe meine Koffer neu, um nach Nordspanien zu fliegen und beim echten, originalen Jakobsweg vorstellig zu werden, und da taucht der verloren geglaubte Santiago aus Cuenca, Ecuador, auf. Und nein, das ist kein Zufall, ich bin kein esoterischer Spinner (zumindest nicht mehr als die meisten anderen Menschen), aber das hat mich tatsächlich gefreut.
Santiagos Englisch ist nach wie vor verheerend. Seine Augen sind unsagbar hell für einen Südamerikaner, was ihn für Frauen beneidenswert attraktiv macht. Und er ist irgendein Manager, Finanz, Versicherung, was weiß ich. Auf seiner Facebook-Seite stehen Fotos von Urlauben in Florida, Kalifornien, Japan usw., überall mit Frau und zwei Kindern. Also kein Mensch, der zum Campen nach Podersdorf fahren muss. Südamerikanische Oberschicht eben.
Mit dem Wissen, dass Wunder geschehen, bin ich also nach Bilbao geflogen. Wenige Tage davor hat die ETA in Spanien wieder Bomben gezündet, und das hat mich nicht froh gemacht, weil Bilbao als Hochburg der ETA gilt. Da fliege ich aus purer Angst nicht nach Israel und buche zielsicher einen Urlaub in einer europäischen Terrorismushochburg. Gut gemacht, danke.
Wir haben dann aber doch nur den Flughafen besichtigt und sind mit dem Auto weiter nach Kantabrien gefahren. Adios , Baskenland (nein, ich weiß nicht, wie man das auf Baskisch sagt, googeln Sie ruhig selbst). Unterwegs waren wir in einem All- you - can - eat -Restaurant in einer großen Shoppingmall. Ich habe kaum essen können, weil mich folgende Frage fasziniert hat: Kann man in einem All- you - can - eat -Restaurant eine Happy Hour abhalten? Wenn man sich für eine fixe Summe den Wanst so voll schlagen kann, wie man eben will... wie kann man Menschen damit locken, dass sie zwischen 8 und 9 Uhr doppelt so viel essen können, wie sie wollen? Was wären das dann für Menschen, die dieses Angebot dankbar annehmen? »Ich war gestern essen. Doppelt so viel, wie ich essen kann. Um nur 9,90 €!« Ist eine recht spezielle Frage, und ich habe sie nicht konsequent zu Ende gedacht. Aber beschäftigt hat sie mich schon.
In der Mall gab es nicht nur ein All- you - can - eat -Restaurant, sondern auch einen Supermarkt von beachtlicher Größe. Dort habe ich mich mit einer Angel und allen Accessoires eingedeckt, die mir geeignet schienen, nicht weniger als den weißen Hai und Moby Dick zur Strecke zu bringen: Haken, Schwimmer, Bleigewichte und vor allem Gummiköder in allen Formen und Farben, derer ich habhaft werden konnte. Ist ein bisschen wie im Sexshop vor dem Regal mit den Vibratoren: fisch- und madenförmige Gummiwürste, genoppt oder auch nicht, mit unterschiedlichem Schwingverhalten in feuchtem Zustand, also unter Wasser, vor allem aber in sämtlichen Farben von Neongrün über Heringsilber bis schreiend Pink. Herrlich. Ich habe eine beachtliche Rechnung ershoppt und bin zufrieden zum Auto gelatscht, wo ich feststellen musste, dass für meine Gummiwürste kein Platz ist, weil mein Freund und Mitreisender Gunki ein ähnliches Konsumverhalten an den Tag gelegt hat wie ich. Bloß hat er keine fünf Zentimeter langen Gummisimulationen von Würmern erstanden, sondern gefühlte acht Surfboards, einen Kiteschirm und eine Kletterausrüstung, die aus einem Reinhold Messner einen
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