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Seidenmagd

Seidenmagd

Titel: Seidenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Renk
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Kapitel 1
    »Käthe?« Der Ruf der Mutter schallte durch das kleine Haus am Quartelnmarkt, in dem die Familie te Kamp wohnte. »Wo bist du?«
    Catharina wischte sich die Hände an dem Küchentuch ab und öffnete die Tür zur Diele. »Ich bereite den Brotteig für Morgen vor, Maman.«
    »Das kann Henrike übernehmen. Du musst mit mir zu den von der Leyen gehen, um die Kostüme abzuliefern.« Die Mutter stand in der Tür zur Stube, unter ihren Augen waren tiefe Ringe der Müdigkeit. »Hast du sie endlich fertig?« Catharina betrat die Stube. Auf dem Tisch, an dem sie früher die Mahlzeiten eingenommen hatten, lag ein sauber verschnürtes Paket.
    »Ja, endlich.« Esther seufzte müde. Zwei Wochen hatte sie an den Kostümen genäht, die die Franzosen bei ihr in Auftrag gegeben hatten. Schon nächste Woche würden die Karnevalsfeierlichkeiten in der Stadt beginnen. Seit drei Jahren, seit der Schlacht an der Hückelsmay, war die Stadt von französischen Truppen besetzt, der Niederrhein war ihr bevorzugtes Winterquartier. Die Städter litten unter den Besatzern, versuchten aber das Beste aus der Situation zu machen. Schon im letzten Jahr hatte Esther te Kamp einige Kostüme für die Offiziere genäht, als Friedrich von der Leyen einen Ball für sie veranstaltet hatte.
    »Hast du schon alle verpackt?« Catharina sah sich neugierig um.
    »Nein, bei dreien muss ich die Säume noch nachnähen, die sind mir nicht sauber geglückt.«
    »Aber Maman, es sind doch nur Kostüme. Die Franzosen werden sie einmal, höchstens zweimal tragen und dann wegwerfen. Keiner wird auf die Säume gucken.«
    »Mein Ruf als Weißnäherin steht auf dem Spiel – und Arbeiten sollten immer sorgfältig ausgeführt werden.« Missbilligend sah Esther ihre älteste Tochter an. »Und nun spute dich, lass uns die Sachen zu den von der Leyen bringen.«
    »Jetzt?« Catharina schaute entsetzt aus dem Fenster. Ein böser Wind fegte schon den ganzen Tag durch die Gassen, heulte in den Ecken und unter den Dachtraufen. Nun hatte sich der Wind etwas gelegt, doch es fing an zu schneien.
    »Ja, jetzt sofort. Die drei letzten Kostüme können wir morgen nachliefern und dann auch das eine oder andere anpassen, aber das Gros der Kostüme möchte ich heute noch abliefern.« Sie nahm ihren Mantel vom Haken in der Diele, tauschte die dünne Haube, die sie im Haus trug, gegen eine dickere aus Wolle und schlang sich das Umschlagtuch um die Schultern. Während Catharina ihre Stiefel zuschnürte, wickelte Esther die Kostüme in Leinentücher und verstaute sie in zwei Körben.
    »Henrike«, rief sie, »pass auf die Mädchen auf und öffne niemandem die Tür. Du kannst die Suppe für das Nachtmahl aufwärmen und Tee zubereiten. Käthe hat schon angefangen, den Brotteig anzusetzen.«
    Die achtzehnjährige Henrike seufzte ergeben. Sie war eben erst nach Hause gekommen. Seit einiger Zeit half sie im Haushalt des Bürgermeisters Floh.
    Früher war die Familie einigermaßen wohlhabend gewesen. Der Vater Heinrich betrieb eine Leinen- und Bandweberei, und die Geschäfte liefen gut. Doch dann war er nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben und hatte Esther mit den fünf Kindern zurückgelassen. Nach der großen Schlacht an der Hückelsmay vor knapp drei Jahren hatte sich der einzige Sohn Michel te Kamp freiwillig zum Dienst an der Waffe gemeldet. Er war mit den Hannoveraner Truppen in die Fremde gezogen, und die Familie hatte bis heute nichts mehr von ihm gehört.
    Seitdem stand Esther mit den vier Mädchen alleine da. Schon der Tod des Vaters hatte ihre Mutter tief getroffen. Nachdem Michel weg war, zog sie sich ganz zurück. Wohl beteiligte Esther sich noch am Gemeindeleben, sie betete viel und kümmerte sich auch um die Familien, die noch ärmer waren als die te Kamps. Nur selten zeigte sich jedoch ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Tiefe Falten hatten sich um ihren Mund eingegraben.
    Das Kopfsteinpflaster war rutschig, so dass die beiden Frauen ihre Füße mit Bedacht setzen mussten.
    »Das Geld, das ich für die Kostüme bekomme, brauchen wir dringend.« Wieder seufzte Esther.
    Catharina nickte. Sie wusste, dass es nicht einfach für ihre Mutter war. Auch dieses Jahr war der Winter früh gekommen. Viele Familien hungerten, Brennmaterial war knapp und teuer. Genau wie Henrike übernahm auch Catharina hin und wieder Tätigkeiten bei anderen Familien und verdiente so ein wenig zum Unterhalt der Familie dazu. Doch im letzten Sommer hatten sie die Magd entlassen müssen, nachdem diese ein

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