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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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jung sein, sorglos
leben und seinen Spaß haben wollen. Die Gefährten waren
erst später zu ihm gestoßen. Anfangs war auch noch Frau
Stachelschwein dabei gewesen, aber sie war bei einer spontanen
Vorführung des Fringe, der Randerscheinungen des
Festivals, ums Leben gekommen. Von einer Kugel mit Ionenstrahlen, auf
die man Sonnenstrahlen gelenkt hatte, waren blitzartig elektrische
Entladungen auf die Erde niedergegangen. So war das Fringe nun
mal: ein hirnloses Wesen, unendlich gefährlich, launisch und so
wenig vertrauenswürdig wie eine Giftschlange, manchmal jedoch
fähig, Werke von vollendeter Schönheit hervorzubringen.
(Das Morgenrot-Spektakel hatte sich über Wochen
erstreckt.)
    Felix blickte sich nervös um. Jenseits der Hecke, unten an
der Straße, schien sich etwas zu bewegen. Er hielt sich das
Telefon an die Wange. »Ist da jemand?«
    »Wirst du uns unterhalten?«
    »Ich weiß nicht, wie!«, platzte es aus ihm
heraus.
    »Erzähl Geschichte. Liefere uns Gültigkeitsbeweis
für irgendeine Theorie, die uns unterhält. Singe, tanze,
klatsche in die Hände.«
    »Und was werdet ihr im Gegenzug für mich tun?«
    »Was forderst du?« Die Stimme am anderen Ende der
Leitung, zusammengepresst durch die beschränkte Bandbreite eines
Kausalkanals, klang blechern und weit entfernt.
    »Böse Männer verfolgen mich. Die schmeißen
mit Sahnetorten und wollen mich in einen der ihren verwandeln.
Könnt ihr sie aufhalten? Mich vor den Possenreißern
schützen?«
    »Geschichte erzählen.« Das war keine
Bemerkung oder Frage, sondern ein Befehl.
    Felix holte tief Luft. Als er nach oben blickte, sah er den Raben
über sich kreisen. Er sprang in den Graben, duckte sich unter
die nächsten Äste, machte sich im Zickzackkurs auf den Weg
in den Wald und redete dabei unentwegt. »Es war einmal ein
Herzog, der in einem Palast am Flussufer wohnte und von dort aus auf
die einzige Stadt der Welt hinunterblicken konnte. Zwar war er kein
sonderlich weiser Herzog, aber er tat das, was er am besten für
sein Volk hielt. Doch eines Morgens regnete es Telefone vom Himmel,
und die Welt wandelte sich. Das ist die Geschichte des
Herzogs.«
    Es war eine lange, verschachtelte Geschichte und es dauerte recht
lange, bis sie erzählt war. Sie handelte davon, wie der Palast
des Herzogs von anarchistischen Terroristen belagert worden war, die
das Chaos und Essbestecke aus Kunststoff auf die Stadt losgelassen
hatten. Alle Soldaten des Herzogs waren desertiert, nachdem sie den
Palast und den Zoo geplündert hatten. Der Herzog selbst war
durch einen Geheimgang im untersten Kellergeschoss entkommen, der
unter den Wartezimmern des Kurators hindurch in die Freiheit
führte. Drei vertrauenswürdige Gefolgsleute hatten den
alten Herzog auf seiner Flucht begleitet. Von Kummer
niedergedrückt, hatte er kaum fassen können, was seiner
Welt zugestoßen war. Warum hatte sich alles verändert? Im
Unrat einer Hintergasse hatte ein Telefon gelegen und ihn wie ein
neugieriges Kätzchen angemaunzt. Er hatte sich gebückt, um
es aufzuheben, und diese Bewegung hatte ihm das Leben gerettet, denn
zwei abtrünnige Soldaten hatten in dem Augenblick mit ihren
Gewehren auf ihn geschossen. Sie hatten auch den BÜRGER von Beck
umgebracht, aber vorher war es dem BÜRGER noch gelungen, sie mit
seiner nachhaltig wirkenden Waffe zu treffen. Normalerweise waren
solche Waffen verboten, aber die BÜRGER, die dem Büro des
Kurators angehörten, durften sie in Ausübung ihres Dienstes
benutzen. (Die Kugeln einer nachhaltig wirkenden Waffe sausten auf
Kolibriflügeln dahin und fanden stets ihr Opfer, wo es auch sein
mochte. Ihre ummantelten Zylinder enthielten Nervengift, das
freigesetzt wurde, sobald sie einschlugen. Diese entsetzlichen
Waffen, die wie Wespen im Dienst der Geheimpolizei agierten, sollten
die Schrecken schrankenloser Technik demonstrieren.)
    Felix glitt eine von Wurzeln durchzogene Böschung hinunter
und überquerte danach eine von Schösslingen
überwucherte Lichtung. – In seiner Verzweiflung sprach der
Herzog ins Telefon, worauf ihm drei Wünsche gewährt wurden.
Er bat darum, wieder jung zu werden, was er als bitteren Scherz
meinte. Doch zu seiner Verblüffung wurde ihm seine Jugend wie
durch Zauberhand zurückgegeben. Als Nächstes wünschte
er sich Gefährten und erhielt Freunde, wunderbare Freunde, die
alles für ihn taten, ohne um irgendeine Gegenleistung zu bitten.
Selbst der dritte Wunsch – der Wunsch, wieder ein kleiner Junge
zu sein –, den er im ersten

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