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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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sich sofort
durch die Knochen fressen. Dabei würde die zur Auflösung
führende Nanoware entlang ihres fatalen Wegs die neuralen Bahnen
kartieren und reintegrieren, um das, was vom Körper noch
übrig war, in eine Stellvertreter-Existenz im Echtraum zu
verwandeln.
    Die Possenreißer waren kaputte Existenzen, ein Teil des Fringe, der sich allzu nahe an ein solares Leuchten vorgewagt
hatte und zu Datenmüll verschmort war. Sie hatten all ihre
Sprachpfade eingebüßt, bis zum nach Chomsky [xxvi] benannten Kern, dennoch war es ihnen irgendwie gelungen, als
Trittbrettfahrer die Starwisps des Festivals zu erklimmen. Vielleicht
war die erzwungene Assimilation ihre Art der Kommunikation, ihre Art,
Speicherplätze des Geistes mit anderen Wesen zu teilen. Falls
dem so war, konnte man ihr Vorgehen bestenfalls als fehlgeleitet
bezeichnen: Es ähnelte dem Versuch eines Kleinkinds, durch
Patschen und Schlagen Kontakt mit einem Hund aufzunehmen. Aber nichts
und niemand schien sie von ihrem Versuch abhalten zu können.
    Ein unartikulierter Schrei hinter ihm verriet dem Jungen, dass der
Rabe diesen Possenreißer mit Sicherheit vom ursprünglichen
Ziel abgelenkt hatte. Doch Possenreißer reisten in Rudeln. Wo
waren die anderen? Und wo war Mr Rabbit mit seiner verlässlichen
Zwölf-Schuss-Waffe und dem Gürtel, an dem die mumifizierten
Skalps von Bauern hingen?
    Als vor ihm Lärm zu hören war, geriet Felix ins Stolpern
und blieb stehen. Immer noch hielt er das Telefon in der Hand.
»Hilfe!«, keuchte er hinein.
    »Definiere Parameter für Hilfe.«
    Zwischen den Bäumen vor ihm bewegte sich eine nebulöse
Gestalt, die früher einmal eine Frau gewesen war. Jetzt war sie
bis auf die blutroten Lippen und die Knollennase kalkweiß.
    Weiße Stoffschichten hüllten ihre verwesten Glieder ein
wie ein Leichentuch. Zusammengehalten wurden sie von einem zarten
Spitzengewebe – von silbernen Ranken aus Metall, die bei jeder
Bewegung pulsierten und sich zusammenzogen. Während sie
näher kam, schwankte sie von einer Seite zur anderen und wiegte
sich kokett in den Hüften. Es sah so aus, als wäre ihr
unteres Rückgrat durch ein in alle Richtungen drehbares Gelenk
ersetzt worden. Mit den knochigen Händen hielt sie einen
großen Kuchen umklammert. Eingesunkene Augenhöhlen, in
denen als Bildempfänger schwarze Membranen steckten, grinsten
ihn an, als sie sich niederbeugte und ihm die Kuchenplatte
hinstreckte, wie eine Mutter, die ihrem verwöhnten Sohn sein
Lieblingsdessert anbietet.
    Felix würgte. Der Gestank, der von ihr ausging, war
unbeschreiblich. »Tötet das Ding, macht, dass es
verschwindet«, wimmerte er und ließ sich gegen einen Baum
fallen. »Bitte!«
    »Zur Kenntnis genommen.« Die Stimme des Festivals
klang weiterhin blechern und fern, aber der Ton hatte sich irgendwie
verändert. »Fringe-Sicherheitsdienst zu Ihren Diensten.
Wie können wir Ihnen helfen?«
    Die Possenreißer begannen ihn zu umzingeln. »Tötet
sie!«, keuchte Felix. »Holt mich hier raus!«
    »Bestimmung des Zielobjekts läuft. Röntgenlaser
online. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die gegenwärtige
Orbitalneigung die chirurgische Ausmerzung nicht begünstigt.
Schützen Sie Ihre Augen.«
    Er warf einen Arm über sein Gesicht. Die Silhouetten seiner
Knochen flammten rötlich auf. Im Bruchteil einer Sekunde folgten
ein Donnern und eine Hitzeexplosion, als hätte jemand direkt vor
seinem Gesicht die Klappe des Höllenofens aufgerissen. Seine
Haut prickelte so, als umarmte ihn Frau Stachelschwein, nur dass
dieses Prickeln den ganzen Körper erfasste. Im Wald
stürzten Bäume um, und er hörte panisches
Flügelschlagen. Eine Sekunde später wiederholten sich Blitz
und Donner, diesmal hinter ihm. Das ging noch drei- oder viermal so,
aber aus zunehmendem Abstand.
    »Einsatz beendet, Bedrohung eliminiert. Bitte nehmen Sie
zur Kenntnis, dass Sie eine Dosis von rund vier Grey Ionenstrahlung
empfangen haben. Ohne schnelle Gegenmaßnahmen ist diese Dosis
lebensbedrohlich. Wir haben eine medizinische Notausrüstung
losgeschickt. Bleiben Sie, wo Sie sind, das Paket wird in
zweiundzwanzig Minuten bei Ihnen eintreffen. Wir bedanken uns
für Ihren Auftrag. Schönen Tag noch.«
    Felix lag keuchend am Fuß des Baumes. Ihm war schwindelig
und ein wenig übel. Immer noch zeichneten sich vor seinen Augen
die gespenstischen, purpurroten Aufnahmen seiner Oberschenkelknochen
ab. »Ich will Mr Rabbit«, murmelte er ins Telefon, aber es
kam keine Antwort. Er vergoss Tränen der Einsamkeit und

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