Sirenenfluch
ihm ihre Liebe zu Will gestanden. War es sein gebrochenes Herz gewesen, das die Seekrieger zu ihm geführt hatte? Der Gedanke, sie könnte ihn so verletzt haben, war schmerzhaft.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Zoe.
»Zoe, du kannst nicht jeden retten«, sagte er nur.
Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen wie ein stilles Geheimnis.
»Sag nichts. Ist ja schon gut.« Will legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Zoe …« Er hielt ihre Hand in seiner warmen Hand. »Darf ich dir etwas sagen? Ich bin einfach froh, dich zu haben.«
»Ehrlich?«
»Ohne Tim ist es schon schwer genug. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du auch noch …« Er schüttelte den Kopf, unfähig, weiterzureden.
Zoe wich seinem Blick aus und tat so, als bewundere sie die hübsche Tapete. Sie dachte darüber nach, das gesamte nächste Jahr in Shelter Bay zu verbringen. Vielleicht wäre das genau das Richtige für sie und Will. Möglicherweise ist die Flucht nach vorn der einzige Ausweg, dachte Zoe. Ich kann nicht fort von hier, bevor es uns nicht gelungen ist, das Vergangene hinter uns zu lassen.
Will beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.
»Womit habe ich den denn verdient?«
Will lächelte sie an. »Einfach so.«
Mit klopfendem Herzen lehnte sich Zoe in die kühlen Kissen zurück. Sein Kuss war freundschaftlich gewesen, beinahe wie von einem Bruder. Sie empfand nach wie vor stärker für ihn, doch sie ahnte, dass Will für mehr noch nicht bereit war. Sie mussten beide erst einmal dafür sorgen, dass ihre Wunden verheilen konnten.
Doch zum allerersten Mal schien es, als könnte es eines Tages möglich sein.
Wie Angus schon gesagt hatte – die Haie waren weitergezogen.
Anmerkungen der Autorin
Die Anlehnungen an Homers Odyssee sind korrekt, obwohl die Handlung nicht der des Epos entspricht, sondern frei von mir erfunden wurde, ebenso wie der Name der Seekrieger – eine Zusammensetzung zweier deutscher Wörter, die genau meiner Vorstellung von Calypso und ihrer Sirenenhorde entsprechen. Das Städtchen Shelter Bay erinnert entfernt an Bridgehampton im Bundesstaat New York, wo meine Familie ein Haus besitzt und wo ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr jeden Sommer verbracht habe. Obwohl es zahlreiche überlieferte Seemannslieder über Meerjungfrauen gibt, entstammen die Shantys in diesem Buch meiner eigenen Feder. Das Kapitänslogbuch ist eine Hommage an Bram Stokers Roman Dracula, in dem ein ähnlich Furcht einflößendes Logbuch auftaucht.
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