Sisters of Misery
Wurzeln sich wie Schlangen um die Beine des Mädchens winden. Und auf einmal geschieht das Unfassbare. Der Baum erwacht zum Leben und beginnt, Cordelia zu verschlingen, sie ihn sein tiefstes Innerstes zu ziehen. Maddie fällt nach hinten,
verstummt vor Entsetzen und Fassungslosigkeit. Plötzlich hört sie, wie am Ufer Stimmen lauter werden, wie Jollen an den Strand gezogen werden.
Wir müssen fort von hier, fleht Maddie. Sie wendet den Blick ab, will die surreale Szene, die sich vor ihren Augen abspielt, nicht sehen.
Ich glaube, sie haben mir irgendwelche Drogen gegeben. I-Ich glaube, ich sehe Dinge. Ich kann nicht ⦠ich kann nicht ⦠Ich werde dich nicht im Stich lassen. Nicht noch einmal, schreit Maddie.
Ihr Schluchzen geht im Kreischen der Möwen unter, die am Himmel gleichgültig ihre Kreise ziehen.
Genauso schnell, wie Cordelia in den Baum hineingesogen wurde, ist plötzlich alles wieder wie zuvor, und sie lehnt geschunden und geschlagen wie leblos am Baum. Maddie wagt sich Zentimeter für Zentimeter näher an sie heran, ihr ist immer noch schwindelig von dem, was sie gerade erst gesehen hat, sie ist von Angst erfüllt.
Mit Tränen in den Augen, schaut und wartet Maddie, während die Sonne ihren Aufstieg an den Himmel beginnt.
Du kommst zu spät. Cordelia hebt ruckartig den Kopf, und ihre Augen, einst von lieblichstem Lavendelblau, sind nun schwarze Höhlen.
Ich bin schon tot.
Maddies Schrei gellt durch die Morgendämmerung.
Maddie Crane versetzte ihrem Wecker einen heftigen Schlag. Und genauso rasch wie der Morgen über sie hereingebrochen war, glitt auch der Albtraum gnädig von ihr ab.
1
JERA
JAHR
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Ein wichtiger Wendepunkt im Leben
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AUGUST
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L iegt dieses Mädchen etwa immer noch im Bett? Dass sie aber auch ausgerechnet heute ausschlafen muss. Sommerferien hin oder her, wenn sie nicht so ein Nichtsnutz wie ihr Vater werden will, sollte sie dringend an ihrer Arbeitsmoral arbeiten.«
Madeline Crane hörte, wie ihre Mutter schimpfend in der Küche hin und her lief und mit dem Geschirr klapperte. Ihre Albträume wurden immer schlimmer und detaillierter; sie war erschöpfter aufgewacht, als sie eingeschlafen war. Seit sie erfahren hatte, dass Cordelia LeClaire bei ihnen einziehen würde, tauchte ihre Cousine immer wieder in ihren Träumen auf.
Nachdem sie geduscht und sich die Haare geföhnt hatte, tappte sie die unebenen Stufen zur Küche hinunter. Ihre GroÃmutter Tess verfolgte, in einen verschossenen Bademantel gehüllt, amüsiert das Treiben von Maddies Mutter.
»Guten Morgen ist wohl nicht mehr die angemessene BegrüÃung, Madeline. Aber schön, dass du es wenigstens noch rechtzeitig zum Mittagessen aus dem Bett geschafft hast«, schimpfte Abigail Crane, ohne ihre Tochter anzusehen, während sie fortfuhr, die tadellos saubere Arbeitsplatte noch blanker zu reiben. Maddie verdrehte die Augen, aber Tess zwinkerte
ihr aufmunternd zu und klopfte einladend auf den Stuhl neben sich.
»Es ist gerade mal zehn, Mom, und ich hab einen ziemlich langen Tag vor mir.« Maddie stieà einen tiefen Seufzer aus und verbiss sich das Lachen, als Tess mit gespielter Missbilligung den Kopf schüttelte.
»Damit eines klar ist«, fuhr Abigail mit ihrer Tirade fort, »in unserer Familie wird um Punkt acht gefrühstückt. Das war immer so und wird immer so bleiben. Wenn du es verpasst - dein Problem. Ich habe jedenfalls keine Lust, mich noch mehr aufzuregen, als ich es sowieso schon ständig tun muss. Haben wir uns verstanden?«
Maddies Mutter hatte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass ihre kapriziöse ältere Schwester Rebecca nach Hawthorne zurückkommen und in Zukunft mit ihnen leben würde. Das groÃe alte viktorianische Haus im Marinerâs Way gehörte Tess, und streng genommen waren Maddie und Abigail auch nur Gäste, obwohl sie fast schon Maddies ganzes Leben lang dort wohnten. Aus diesem Grund hatte Abigail auch kein Mitspracherecht gehabt, als Tess angekündigt hatte, dass Rebecca und ihre Tochter Cordelia zu ihnen ziehen würden. Allerdings lieà sie sich deutlich anmerken, dass sie darüber alles andere als begeistert war.
Sie war eine unerbittliche Perfektionistin, ein Kontrollf reak und hatte den reinsten Sauberkeitswahn. Maddie stellte sich manchmal vor, dass es auch nicht schlimmer sein konnte, die TV-Vorzeigehausfrau Martha Stewart zur
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