Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
getaucht.“
Um dessen Harmlosigkeit zu beweisen, setzte Ramin eine Klaue ins Wasser, sodass eine kleine Welle auf Skiria zuschwappte. Ängstlich trat sie einen Schritt zurück.
„Wir müssen noch Drachenkraut einpacken“, mahnte Ramin sanft. „Und du musst dein Kleid ausziehen, damit wir es trocken über den See bringen. Ich nehme die Stange ins Maul. So kann ich unser Gepäck weit aus dem Wasser halten, und während ich tauche, führe ich es an dem Ast oberhalb des Wassers durch die Öffnung.“
Skiria wagte kaum, sich vorzustellen, tatsächlich durch dieses unbekannte Gewässer zu schwimmen. Wie tief mochte der See sein? Ob in dem Wasser Leben existierte? Fische, die kalt und glatt an ihrer nackten Haut vorüber streiften, Schlingpflanzen, die ihre sanft wiegenden Triebe hinterhältig um ihre Glieder wickelten, als wollten sie ihr Opfer damit in die Tiefe ziehen, oder gar Schlimmeres?
„Du kannst doch fliegen?“, bemühte sie sich um eine Alternative zu dieser gefährlich anmutenden Art zu reisen.
Von der Frage scheinbar überrascht, gab Ramin kleinlaut zu: „Ich bin nicht gerade der beste Flieger.“
„Bist du denn schon einmal geflogen?“, bohrte Skiria nach. Ramins Flügel lösten sich für einen kurzen Schlag aus ihrer eng am Körper anliegenden Position, wie um zu beweisen, dass der Drache sie für durchaus einsatzfähig hielt. Sein Kopf hob sich hoch in die Luft, als er verkündete: „Ich habe es einmal versucht. Meine Mutter wollte es mir zeigen.“
Dass dieser Versuch nicht von übermäßigem Erfolg gekrönt war, versuchte er sich nicht anmerken zu lassen, doch Skiria ahnte es bereits, da Ramin nicht gewillt schien, Details dieses Flugmanövers zu erläutern. Sie beschloss, ihren Gefährten nicht weiter in Verlegenheit zu bringen und fragte ihn stattdessen nach dem Drachenkraut. Das Tier wies mit einem Kopfnicken auf eine kleine Nische, in der sich ein Häuflein getrockneten Gewächses befand, das bei näherer Betrachtung wie Heu wirkte. Skiria füllte das Bündel so gut, dass kaum mehr Platz für andere Dinge blieb.
„Das reicht ja für den ganzen Winter!“, stellte Ramin erfreut fest. Skiria hoffte inständig, dass ihre Reise nicht ganz so lange dauern möge.
„Und jetzt das Kleid!“
In der Dunkelheit der Höhle blieb die Röte verborgen, die Skirias Gesicht überzog. Befangen blickte sie zu Boden. Ramin verstand den Grund für diese Verzögerung nicht recht, doch er appellierte trotzdem an ihre Vernunft: „Wenn du es anlässt, wird es sich voll Wasser saugen und dich wie ein schweres Gewicht nach unten ziehen. Das möchtest du doch nicht, oder?“
Skiria schüttelte den Kopf und bat schließlich: „Sieh bitte weg!“
Ramin wunderte sich, wollte seiner menschlichen Freundin aber gerne diesen Gefallen erweisen und sah angestrengt zu der Nische zurück, in der das Drachenkraut lag. Endlich wagte Skiria, die Verschnürung des Gewandes zu lösen und es auf den felsigen Untergrund sinken zu lassen. Sie konnte sich jedoch nicht dazu überwinden, das Unterkleid ebenfalls auszuziehen und beschloss, es anzubehalten. Ihr Gewand wickelte sie eng um die Astgabelung und band es mit dem Gürtel fest. Zuletzt streifte sie ihre leichten Ledersandalen ab und stopfte sie mit in den Beutel hinein.
„Fertig!“
Ramin wandte seinen Hals zu ihr und gewahrte verblüfft, dass sich unter Mädchenkleidern anscheinend nochmals eine Hülle aus Stoff befand. Der menschlichen Gebräuche unkundig, ließ er Skirias neuen Aufzug lieber unkommentiert, um sie nicht zu verärgern.
„Leg’ nun den Ast zwischen meine Zähne!“ Er gewährte ihr einen Blick in seinen ausladenden Rachen.
Vorsichtig beförderte Skiria den Stecken in seine Schnauze, die er anschließend so weit es ging wieder zuklappte.
„Mass uns mehen!“
Skiria unterdrückte ein Zähneklappern. Plötzlich bereute sie ihren Entschluss, den Drachen zu begleiten. Die Wasseroberfläche lag vollkommen still und kräuselte sich erst ein wenig, als sie ihren Zeh hineinhielt, um die Temperatur zu prüfen. Überrascht von der eisigen Kälte des Sees, zog Skiria den Fuß schnell wieder zurück, auch wenn sie nicht damit gerechnet hatte, angenehm temperiertes Badewasser vorzufinden. In welch ungewöhnliche Lage sie sich nun manövriert hatte: Halb nackt, in einer Höhle neben einem Ungeheuer stehend, und im Begriff, in ein finsteres Gewässer zu tauchen.
Das Schicksal schien ihr seltsame Prüfungen abzuverlangen.
Der erste Schritt ins kalte Nass
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