Sklaverei
als eine Antwort auf die Armut und die fehlenden Bildungsmöglichkeiten von Millionen von Frauen und Kindern erscheint. Die Macht der internationalen Sexindustrie gründet sich auf der Vermarktung des menschlichen Körpers als einer Ware, die sich ohne Zustimmung der Eigentümerin ausbeuten, kaufen und verkaufen lässt. Steve Harper, Marketing-Guru und Promoter der Sexindustrie, erklärte in einem Interview anlässlich der Internationalen Sexmesse des Jahres 2009 : »Machen Sie sich nichts vor. Hier geht es um Geld, nicht um Menschen.« Unter dieses Motto stellt Harper auch seine Kurse für Unternehmer der Sexbranche. Mit den Abermillionen von US-Dollar, die das Sexgewerbe jedes Jahr für politische Lobbyarbeit und die Normalisierung der Sexsklaverei ausgibt, könnte man ein ganzes Land vor dem Hunger retten.
Bevor ich meine Reise antrat, unterhielt ich mich mit einem pensionierten mexikanischen General. Dieser sagte mir, für den illegalen Handel mit Maschinengewehren benötige man lediglich einen Käufer, einen Verkäufer, eine geeignete Verpackung und einen korrupten Beamten. Eine menschliche Sklavin muss man dagegen erst davon überzeugen, dass ihr Leben nicht mehr wert ist als das, was ihr Käufer dafür bezahlt. Die Menschenhändler bringen ihre potentiellen Opfer in ihre Gewalt, indem sie ihnen jede Aussicht auf ein Leben in Würde und Freiheit nehmen. Die Armut ist nicht nur ein fruchtbarer Boden für die Sklaverei, sondern sie ist die Saatmaschine, die Sklaven und Sklavinnen in aller Welt hervorbringt. Die Komplizenschaft der Regierungen ist dabei nicht zu übersehen.
In diesem Buch begegnen wir sämtlichen Protagonisten der Tragödie: den Sklavenhändlern; den Opfern, die sich aufgegeben, und den Überlebenden, die sich körperlich und seelisch befreit haben; den Mittelsmännern, den Geschäftemachern des Sextourismus und ihren Kunden; den Zuhältern, den Militärs und den korrupten und ehrlichen Beamten aller Ebenen und Länder. Wir begegnen Müttern, die mir ihre Töchter anboten, und Müttern, die verzweifelt ihre entführten Töchter suchten. Hier hören Sie ihre Stimmen, ihre Drohungen und ihre Hoffnungen.
Eine Darstellung dieser verbrecherischen Machenschaften wäre allerdings unvollständig, würde man nicht die Spur des Geldes nachverfolgen. Wie und wo wird das Geld gewaschen? Die Finanzbranche ist ein ganz entscheidender Akteur des Geschäfts. Um dem Phänomen weiter auf den Grund zu gehen, habe ich die Haltung verschiedener Regierungen zu Sklaverei und Prostitution recherchiert; untersucht, welche Einnahmen ihre Legalisierung oder Duldung für die jeweiligen Staaten mit sich bringt; und gefragt, welche Einstellung Männer und Frauen vor ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund gegenüber der Prostitution haben. So kam ich beispielsweise in zutiefst religiöse Länder wie die Türkei, wo die Prostitution nicht nur erlaubt ist, sondern der Staat sogar die Bordelle betreibt, und am anderen Extrem in Länder wie Schweden, wo der Gesetzgeber die Freier bestraft und die Opfer der Sexsklaverei beschützt.
Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die Millionen von Menschen, die sich der Rettung und Unterstützung der Opfer des Sklavenhandels widmen, von China bis nach Brasilien, von Indien bis in die Vereinigten Staaten, von Guatemala bis nach Kanada und Japan.
Dieses Buch zeichnet eine Landkarte der modernen Sexsklaverei. Es gibt Antworten auf die Grundfragen des Journalismus: durch wen, wie, wann, wo und warum im 21 . Jahrhundert der Handel mit Sklaven, Waffen und Drogen immer weiter zunimmt. Wie wir jedoch mit diesen Verbrechen umgehen, hängt von uns selbst, den Bürgern der Weltgesellschaft, ab. Ich hoffe, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg zur Freiheit und Hoffnung findet und dass wir die moralische Entrüstung überwinden, die die Diskussion um das Thema in den vergangenen Jahren geprägt hat.
1 Türkei: Das goldene Dreieck
Ich sehe noch einmal nach, ob ich meinen Pass, mein Flugticket und mein Visum für die Türkei habe. Es ist das zweite Mal, dass ich nach Zentralasien reise, und beim Blick auf die Landkarte kommen Erinnerungen an meine erste Reise hoch.
Vor einigen Jahren war ich zunächst nach Finnland und von dort aus weiter nach St. Petersburg, Moskau und Kiew geflogen. Meine nächste Station war die georgische Hauptstadt Tiflis, wo ich die Journalistin Anna Politkowskaja kennengelernt hatte und mich von ihr in die Komplexitäten der Region hatte einführen lassen. Ich war
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