Sklaverei
Handwerk. Lydia Cachos Buch versammelt sie alle, alle Beteiligten, Täter und Opfer, alle menschlichen Figuren, um die Bedingungen der Möglichkeit des globalen Geschäfts mit der sexuellen Gewalt und Ausbeutung zu erläutern. Doch Lydia Cacho beobachtet nicht nur, sie deckt nicht nur auf, was sonst im Verborgenen blieb, sie analysiert, sie argumentiert, sie begründet, warum hier ein globales Verbrechen vor unser aller Augen statthat, das endlich geahndet gehört.
Der Text eint in einzigartiger Weise verschiedene Genres der Argumentation: Interview, Reportage, Essay. Cacho verbindet alle diese Erzählformen zu einem erschütternden Kaleidoskop. Das Material ihrer Reisen: die Stimmen der Betroffenen, individuelle Schicksale aus der Türkei, aus Kambodscha, Israel und Palästina, Japan, Birma und Argentinien koppelt Cacho mit Reportage-Momenten, Szenen, in denen sie die eigene Rolle und das eigene Vorgehen transparent macht. Die Informanten werden sichtbar, die düsteren Orte, an die Cacho sich begeben musste, um ihre Quellen zu treffen, all das stinkende, dreckige Elend, das mit einem Versprechen vom großen Glück in einer fernen Welt begann, all die verschlossenen Türen und exklusiven Clubs, die zahllose Frauen in Gefangenschaft halten, all das scheint auf in diesen Passagen. Dazwischen gibt es auch extrem komische Szenen: wie Cacho unbeholfen mit den Stripperinnen eines Lokals an der Stange herumtanzen muss, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen; all das erzählt Cacho mit ironischer Leichtigkeit, als wäre die ganze Situation nicht auch ungeheuer gefährlich. Die einzelnen Begegnungen situiert sie zudem in offiziellen Statistiken und Erhebungen, Analysen der Gesetze in dem jeweiligen Land, in dem sie sich bewegt, die den individuellen Stimmen einen politisch-sozialen Resonanzraum geben.
Lydia Cacho lässt sich von der Materialfülle, die sie in Jahren zusammengetragen hat, nicht überwältigen, sie strukturiert deswegen ihr Buch in zwei große Teile. Sie gliedert das globale Geschäft mit sexueller Ausbeutung und Menschenhandel einmal territorial und zum anderen systematisch. Sie kombiniert Anschauung und Analyse, empirische Beobachtung/Fakten und systematische Reflexion. Und es ist dieser zweite, systematische Teil, der in ungekannter analytischer Klarheit alle Quellen, ökonomische, psychosoziale und politisch-juristische, aus denen sich die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder speist, vorführt und der alle rhetorischen Strategien der Verharmlosung der Verbrechen gegen Frauen und Mädchen entlarvt.
Cacho verweist auf die unterschiedlichen Gründe für die instabile Situation von Frauen: Eindrucksvoll argumentiert sie, wie einerseits die in Konfliktregionen oder Kriegsgebieten vorherrschende Gesetzlosigkeit Frauen besonders leicht zu Opfern von Menschenhändlern macht, wie die anarchischen Zustände in Krisengebieten, die schwachen Kontrollen an Grenzübergängen den Schmugglern das illegale Geschäft mit der Zwangsprostitution erleichtern. Andererseits beschreibt Cacho aber auch eindrucksvoll das komplexe Geflecht aus gesetzlichen Regelungen zur Eindämmung der Zwangsprostitution, die paradoxerweise nur mehr das ökonomische Interesse an sexueller Ausbeutung steigern, weil die Illegalität des Menschenhandels die Profite der Sex-Industrie steigern.
Es ist, als ob Cacho sich jeden Einwand, jeden Zweifel vorab überlegt hätte. Jede rhetorische Volte der Verharmlosung, all die diskursiven Strategien, die die Misshandlung von Frauen als sexuelle Befreiung, als selbstgewählt, als modern verkaufen wollen, all das erwähnt und zerlegt Cacho ruhig und genau. Sie erzählt von Prostitutionsnetzwerken, die gleichzeitig Kampagnen für misshandelte Frauen finanzieren, um sich so den Anschein der moralischen Gesittung zu geben. Sie berichtet vom taktischen Geschick der Menschenhändler, die in ihren Bordellen darauf achten, dass Frauen, die sich als professionelle Prostituierte betrachten, mit Opfern sexueller Gewalt gemischt werden, um auf diese Weise das Verbrechen hinter der legalen Prostitution zu verdecken. Sie kritisiert auch jene Mythen und Klischees, die mit Begriffen des Bösen operieren, um Zuhälter oder Menschenhändler zu dämonisieren. Für Cacho liegt vielmehr gerade in dem sympathischen, freundlichen Gebahren vieler Zuhälter, in ihrem Charme und ihrer Attraktivität, die Gefahr; gerade in der Gleichzeitigkeit von Herzlichkeit und Grausamkeit speist sich die Macht der mafiosen Strukturen, die
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