Sklaverei
angelächelt und ihnen das Gefühl gegeben hat, in dieser fremden Welt nicht ganz allein zu sein.
Ich rufe Eugene Schoulgin an, einen außergewöhnlichen Schriftsteller und Journalisten, der 1941 als Sohn einer Russin und eines Norwegers geboren wurde. Eugene hat in Afghanistan und dem Irak gelebt und wohnt heute in Istanbul, wo er Sekretär des Internationalen PEN -Clubs ist. In der Vorbereitung meiner Reise hat Eugene den Kontakt zu einigen kritischen Journalisten und Informanten hergestellt. Dieser Freund kümmert sich mit rührender Herzlichkeit um mich, und ich halte ihn darüber auf dem Laufenden, wen ich wo treffe, damit er weiß, wo und wie er mich zu suchen hat, für den Fall, dass mir etwas zustößt. Ohne seine Sicherheitshinweise wäre meine Recherche vermutlich deutlich weniger erfolgreich verlaufen.
Der Informant
Im Stadtteil Maslak, den Einheimische auch als »Manhattan« Istanbuls bezeichnen, geht allmählich die Wintersonne unter. Die Hochhäuser des modernen Finanzdistrikts zeugen von der Weltoffenheit dieser halb europäischen, halb asiatischen Stadt. Die kalte Luft treibt die Menschen in die Bars und Cafés, die nach dunklem Tabak, starkem Kaffee und hier und da auch nach frisch zubereitetem Lammfleisch duften. Junge, schlanke Frauen, die nach italienischer oder französischer Mode Miniröcke, hohe Stiefel und Strumpfhosen tragen, betreten mit offen zur Schau gestelltem Selbstbewusstsein die Cafés. Andere gehen in sich gekehrt, unauffällig gekleidet, den Kopf mit einem feinen Seidentuch bedeckt. Die jungen Männer, geschniegelt und parfümiert, tragen Hugo-Boss-Anzüge, teils echt, teils imitiert, und begrüßen einander mit einer Umarmung und einer Berührung der Wangen, ein Überbleibsel des doppelten Männerkusses ihrer Großväter. Türkische Popmusik füllt den Raum, und die Stimme der Sängerin erinnert mich ein wenig an Britney Spears.
Ich stehe an der Theke und trinke ein türkisches Bier, während ich auf meinen Informanten warte. Es dauert nicht lange, und ein großer, attraktiver Mann mit hellbrauner Haut, kurzgeschorenem Haar, dichten Augenbrauen und einer braunen Lederjacke stellt sich neben mich an den Tresen. Seine Nase ist rot von der kalten Luft. Während er sich noch den Wollschal abnimmt, spricht er, ohne mich anzusehen, meinen Namen aus und bestellt sich ein Bier.
Er sieht mich aus dem Augenwinkel an und nuschelt in einem stockenden Französisch, dass wir uns hier nicht unterhalten können. »Im Fünf-Sterne-Hotel. Wir sehen uns morgen im Fünf-Sterne-Hotel.« Ich hole eine Karte meines Hotels aus meiner Handtasche und gebe sie ihm. Er schaut erst die Karte an, dann mich, dann wieder die Karte.
»Das ist im Stadtteil Taya Hatun«, stellt er fest.
»Ja, es ist ein kleines Hotel, in dem nur Touristen unterkommen«, erkläre ich.
»Neun Uhr morgens. Nur Sie, Madame.«
Er bezahlt sein Bier, ohne einen Schluck davon getrunken zu haben, eilt aus dem Café und besteigt eine Straßenbahn, nicht ohne sich nach allen Seiten umgesehen zu haben.
Mahmut ist Polizeibeamter, und zwar einer von den Guten, wie mir ein Journalistenkollege versichert hat. Er wurde von der Internationalen Organisation für Migration ( IOM ) geschult und gehört einer Sondereinheit zum Kampf gegen den Menschenhandel in der Türkei an. Das amerikanische Außenministerium unterstützt den Kampf gegen den Menschenhandel mit sieben Millionen Dollar pro Jahr, und Norwegen steuert ebenfalls finanzielle Unterstützung bei. Mahmut ist ein laizistischer Türke und für einen türkischen Polizeibeamten außergewöhnlich gebildet. Er hält den offiziellen Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen in der Türkei für eine Farce. Deshalb hat er sich nach monatelangen Verhandlungen mit meinen Kontaktpersonen bereit erklärt, sich von mir interviewen zu lassen.
Ich erwarte ihn in meinem kleinen Hotel über einer guten Tasse türkischen Kaffee. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe spanischer Touristen, die sich angeregt unterhalten. Als ihr Führer kommt, stehen sie auf und fragen mich, ob ich mich ihnen nicht anschließen will. Ich lehne lächelnd ab. Eine Frau aus Sevilla meint, ich würde es bereuen, wenn ich diesen Ausflug verpassen würde. »Bestimmt«, antworte ich. Ich verabschiede mich freundlich und muss daran denken, dass diese Touristen vermutlich durch eine der Straßen gehen werden, die parallel zum Rotlichtviertel verlaufen, ohne zu wissen, dass sich dort, hinter den verspiegelten Scheiben, die
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