SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
der Brust und drückt zu. Fest. Fester. Janie schnappt nach Luft und kann nicht genug davon bekommen. Sie legt sich auf die Seite und rollt sich zu einem Ball zusammen.
»Komm runter«, sagt sie sich keuchend. »Vergiss diesen ganzen Scheiß.«
Es ist einfach alles zu viel.
Sie bedeckt Mund und Nase mit den Händen und atmet hinein, ein und aus, bis sie wieder richtig atmen kann. Sie versucht, alle Gedanken auszublenden.
Konzentriert sich.
Atmet.
Atmet einfach nur.
09:29 Uhr
Die Zimmertür ihrer Mutter bleibt geschlossen.
Janie wandert ziellos durch das kleine Haus und fragt sich, was in aller Welt sie wegen Henry unternehmen soll. Schwitzend knabbert sie an einem Müsliriegel. Es ist jetzt schon heiß. Sie stellt den Ventilator im Wohnzimmer an und macht die Haustür auf, in der Hoffnung, dass ein Luftzug etwas Kühlung bringt. Dann lässt sie sich aufs Sofa fallen.
Durch die zerrissene Fliegentür kann sie sehen, wie Carl in die Einfahrt einbiegt, und ihr Herz schlägt schneller. Er springt aus dem Auto und läuft mit langen, geschmeidigen Schritten zur Tür. Kommt einfach herein, wie üblich. Drinnen bleibt er stehen, damit sich seine Augen an das Licht gewöhnen.
Lächelt sie schief an.
»Hi.«
Sie klopft auf das durchgesessene Sofakissen neben sich.
»Ich habe mir noch nicht die Zähne geputzt«, beichtet sie, als Carl sich zu ihr beugt. »Und deine Nase pellt sich.«
»Mir egal und mir ganz egal«, erwidert Carl und küsst sie. Dann lässt er sich auf das Sofa fallen. »Ist es in Ordnung, dass ich hier bin?«
»Ja.« Janie legt ihm die Hand auf den Oberschenkel und drückt ihn. »Gestern Abend … ich wusste einfach nicht, was mich erwartet. Ich war mir nicht sicher wegen meiner Mum, verstehst du? Ich wusste nicht, was sie tun würde.«
»Was hat sie denn getan?« Nervös blickt er sich um.
»Nicht viel. Sie war ein wenig widerspenstig. Nicht völlig unmöglich. Aber sie hat kein Wort über Henry gesagt, und ich habe mich nicht getraut zu fragen. Mein Gott, sie hält es keine zwölf Stunden ohne Alkohol aus, und wenn sie keinen kriegt, wird sie gemein.« Janie lässt das Kinn sinken. »Das ist doch peinlich, oder?«
»Mein Dad war auch so. Nur dass er gemein war, ob er nun Alkohol intus hatte oder nicht. Zumindest war er konsequent.« Carl grinst schwach.
Janie schnaubt. »Da habe ich ja noch richtig Glück.« Sie wirft Carl von der Seite einen Blick zu.
Überlegt.
Traut sich schließlich. »Hast du dir je gewünscht, dein Dad sei tot? Ich meine, bevor er dir wehgetan hat? Einfach nur so, damit du dich nicht mehr mit ihm befassen musst?«
Carl kneift die Augen zusammen. »Jeden verdammten Tag.«
»Dann bist du also froh, dass er im Gefängnis gestorben ist?«, fragt sie und beißt sich auf die Lippe.
Carl schweigt lange. Dann zuckt er mit den Schultern. Als er antwortet, spricht er kontrolliert, nüchtern, als rede er mit einem Psychiater. »Unter den gegebenen Umständen war es das Beste, was passieren konnte.«
Der Ventilator bläst auf Kniehöhe zwischen Fernseher und Couchtisch hin und her und trifft in der Mitte seines Weges auf zwei nackte Beinpaare. Janie schaudert leicht, als der Luftzug ihre verschwitzte Haut streift. Sie denkt an Henry Feingold, den Fremden, der wahrscheinlich ihr Vater ist. Der stirbt. Und zum dritten Mal innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden wünscht sich Janie, es wäre jemand anderes.
Sie lehnt den Kopf an Carls Schulter und legt den Arm neben seinen. Er dreht sich um, zieht sie auf den Schoß, und sie halten sich eng umschlungen.
Denn sie haben sonst niemanden.
Innerlich ist sie hin- und hergerissen.
Janie stellt sich ein Leben ohne Menschen vor. Ohne ihn. Gebrochenes Herz, Einsamkeit, aber die Fähigkeit zu sehen und zu fühlen. Zu leben. In Frieden zu existieren. Nicht immer über die Schulter sehen zu müssen, aus Angst vor der nächsten Traumattacke.
Und sie stellt sich ein Leben mit ihm vor. Blind, verkrüppelt, aber geliebt … solange es gut geht zumindest. Und immer in dem Bewusstsein, welche Kämpfe er in seinen Träumen austrägt. Will sie das wirklich sehen, während die Jahre vergehen? Will sie für diesen großartigen Jungen wirklich so eine Last sein?
Sie weiß immer noch nicht, welches Szenario letztendlich gewinnt.
Aber sie denkt darüber nach.
Vielleicht kann man gebrochene Herzen leichter heilen als kaputte Hände und Augen?
09:41 Uhr
Es ist viel zu heiß, um lange so dazusitzen.
Carl streckt sich. »Willst du sie
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