SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
09:58 Uhr
Sie tun Dinge, die man im Urlaub macht. Sitzen mit Charlie und Megan zusammen, trinken Kaffee und bereiten das Frühstück am Lagerfeuer zu. Entspannen. Lernen den anderen besser kennen.
Janie ist abgelenkt.
Sie schaut sich alles genau an, aus Angst, etwas Sehenswertes zu verpassen, bevor es zu spät ist.
Sie weiß gar nicht, wie man Urlaub macht.
Außerdem gibt es Dinge, vor denen kann man einfach nicht davonlaufen.
Aber sie ist tapfer. Alles scheint normal. Selbst wenn sie innerlich ein Wrack ist.
Es waren ein paar schwere Monate.
Sich den dreien zu stellen – Doc, Happy und Depp – war schwieriger, als sie gedacht hatte. All die Lügen noch einmal zu durchleben. Die Falle. Die Übergriffe. All das, was diese Lehrer getan hatten. Es war schrecklich.
Jetzt ist es vorbei, die Aufregung hat sich gelegt, aber es ist immer noch schwierig. Das Leben wieder auf die Reihe zu kriegen und sich einer Zukunft als blinder Krüppel zu stellen … das ist schwierig. Es ist auch schwierig, eine Säuferin als Mutter zu haben. Ans College zu denken, wo überall Leute schlafen. Einen Freund zu haben, dessen Ängste und Zweifel nur in seinen Träumen zum Vorschein kommen. Das Leben im Allgemeinen … ja, alles.
Echt
verdammt
schwer.
Janie und Carl machen zusammen den Abwasch. Carl spült, Janie trocknet ab. Es fühlt sich gut an. Sie nimmt einen Teller und trocknet ihn gedankenverloren ab.
Sie fragt sich, ob er die Ängste aus seinen Träumen aussprechen kann.
Es platzt aus ihr heraus. »Denkst du manchmal darüber nach, wie es sein wird? Du weißt schon, wenn wir zusammenbleiben und ich blind bin und nur noch herumstolpere und Sachen fallen lasse, weil ich sie nicht festhalten kann …« Sie stellt den Teller in den Schrank.
Carl schnippt mit den nassen Fingern, und Wassertropfen landen in Janies Gesicht. Er grinst.
»Klar. Ich halte mich für einen Glückspilz. Ich wette, Blinde sind klasse im Bett. Ich werde mir auch die Augen verbinden, damit es fair ist.«
Er stößt mit der Hüfte leicht gegen ihre, doch sie lacht nicht. Nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hat, greift sie nach einer Edelstahlpfanne, beginnt sie abzutrocknen und betrachtet ihr verzerrtes Spiegelbild.
»He.« Carl trocknet seine Hand an der Jeans ab und streicht ihr über das Gesicht. »Ich habe doch nur Spaß gemacht.«
»Ich weiß.« Seufzend stellt sie die Pfanne weg und wirft das Handtuch auf den Tisch. »Komm, lass uns etwas Schönes unternehmen.«
13:12 Uhr
Sie konzentriert sich.
Im Wasser ist es kalt, aber auf ihr Gesicht und ihre Haare scheint die warme Nachmittagssonne.
Mit angewinkelten Knien, die Arme gerade, aber nicht ganz ausgestreckt, treibt Janie im Wasser und versucht, das Gleichgewicht zu halten. Die Schwimmweste stößt an ihre Ohren. Ihre wohlgeformten Arme sehen aus wie Stöcke, die aus den riesigen Löchern der Schwimmweste herausragen. Da ihre Brille sicher an Bord des Bootes verstaut ist, sieht sie alles verschwommen, wie durch eine Regenwand.
Sie holt tief Luft.
»Los geht’s!«, schreit sie und wird gleich darauf nach vorne gerissen. Ihre Knie schlagen aneinander und ihre Arme zittern. Sie packt den Griff am Seil so fest, dass die Knöchel weiß werden, ihre Handflächen und Muskeln tun von den Anstrengungen der letzten beiden Tage sowieso schon weh.
Zurücklehnen , denkt sie und tut es. Lass dich vom Boot hochziehen.
Sie richtet sich auf, irgendwie. Wackelt, fängt sich aber wieder.
Sie weiß, dass sie den Hintern herausstreckt. Aber sie kann es nicht ändern. Es ist ihr auch egal. Sie kann nur breit grinsen, während ihr die Gischt ins Gesicht schlägt.
Sie ist oben. »Juchhu!!!«
Megan am Steuer des kleinen erbsengrünen Motorbootes ist eine vorsichtige Fahrerin. Sie beobachtet Janie im Rückspiegel wie eine fürsorgliche Mutter ihr Kind, runzelt besorgt die Stirn, nickt aber. Sie lächelt.
Carl sieht Janie vom hinteren Teil des Bootes zu und grinst dabei. Seine weißen Zähne heben sich von der gebräunten Haut ab, und sein braunes Haar, das von der Sonne mit goldenen Strähnchen durchzogen ist, flattert heftig im Wind. Die knotigen Narben auf seinem Bauch und seiner Brust leuchten silberbraun.
Aber für Janie sind sie aus zwanzig Meter Entfernung nur Flecken. Carl ruft etwas, das begeistert klingt, aber über den Lärm des Motors und das Platschen geht seine Stimme verloren.
Janie friert an Beinen und Armen, die ständig trocknen und wieder nassgespritzt werden. Ihre Haut
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